Abriss zur Geschichte des Alters
„Altern als physiologischer Vorgang ist eines der am wenigsten verstandenen Phänomene der Biologie. Jeder Organismus, jedes Gewebe und jede Zelle altert auch ohne äußere Einflüsse und relativ unabhängig von Umweltbedingungen. Diese universellen Prozesse nennt man auch primäres Altern. Sie werden vor allem durch die Erbinformation des Individuums bestimmt. Daneben unterscheidet man aber auch das sekundäre Altern, das durch äußere Einflüsse ausgelöst wird.“ (Wikipedia)
Dieses sekundäre Altern ist, soweit wir auf schriftliche Aussagen zurückgreifen können, in tausenden von Jahren einem ständigen Auf und Ab unterworfen. Es wurde viel geschrieben, philosophiert, geforscht und all die vielfältigen Ergebnisse zeigen, Alter ist nicht nur eine physiologische Erscheinung, Alter ist darüber hinaus eine kulturelle und soziale Konstruktion, die nicht nur von biologischen und medizinischen Faktoren abhängig, sondern auch von soziodemografischen und ökonomischen, d.h. die Situation und die Einstellung zum Alter ergibt sich aus den sozialen und kulturellen Gegebenheiten jeweiliger Epochen.
In allen Epochen haben Dichter, Philosophen und in der Neuzeit auch Soziologen und Psychologen ihre Sichtweise beschrieben, so auch der amerikanische Soziologe E.W. Burgess 1962 auf einem Kongress in Kalifornien, sagte er: „In allen historischen Gesellschaften vor der Industriellen Revolution, fast ohne Ausnahme, erfreuten sich die alternden Menschen einer vorteilhaften Position. Ihre ökonomische Sicherheit und ihr sozialer Status wurden durch ihre Rolle und durch ihren Platz in der Großfamilie garantiert. Die Großfamilie war mitunter eine wirtschaftliche Produktionseinheit, häufig eine Einheit der Haushaltsführung, und immer eine dichte Einheit sozialer Beziehungen und reziproker Dienste zwischen den Generationen. Aber das Vorrecht über Eigentum, Macht und Entscheidungen stand den Älteren zu. Dieses Goldene Zeitalter des Lebens der älteren Personen wurde gestört und untergraben durch die Industrielle Revolution. In allen Ländern der westlichen Kultur wurde dieser ältere patriarchalische Typus von Familienstrukturen und Verwandtschaftsbeziehungen durch Industrialisierung und Urbanisierung grundlegend verändert.“
Das ist eine sehr einseitige Sichtweise, denn bereits 4300 vor Christus schrieb der ägyptische Dichter und Philosoph Ptahhotep in einer Vorrede zu einem Text zur Weisheits- und Morallehre: „Was das Alter dem Menschen antut: Schlecht geht es in jeder Hinsicht.“ (Hornung, 1996). Oder wie es übersetzt bei S.de Beauvoir (2004,S.116) steht: „Das Alter ist das schlimmste Unglück, das einem Menschen widerfahren kann.“
Ein „goldenes Zeitalter der Alten“ hat es also nie gegeben, vielmehr zeigt die Bandbreite der Haltungen zum Alter die über Jahrhunderte hinweg von Philosophen und Dichtern geprägten sehr gegensätzlichen Wortverknüpfungen, die auch die ganze Ambivalenz der Diskurse deutlich machen: wie „schlimmes Alter“, „kränkliches Alter“, „hässliches“ oder gar „verhasstes Alter“. Das Alter wurde vielfach gleichgesetzt mit Hinfälligkeit und Pflegebedürftigkeit oder als Rückfall in die Hilflosigkeit des Kindes betrachtet. Das ist allerdings nur die eine Seite, gleichzeitig gibt es die positiven Beschreibungen: Das Alter als Anhäufung von Erfahrung, der alte Mensch als Träger des gesellschaftlichen Gedächtnisses oder als Speicher des in einem langen Leben erworbenen Wissens und hier kommen auch Frauen ins Spiel – als Geschichtenerzählerin in Gesellschaft und im Familienkreis. Alter erfährt Achtung und Wertschätzung und damit einen positiven Status in der Gesellschaft.
Die Kulturgeschichte hat sichtbar gemacht, dass Altersbilder und Stereotypen vom Alter ebenso wie Einstellungen zum Alter zeitübergreifend ein ganzes Arsenal von vielfältigen, auch entgegengesetzten Positionen umfassen, wie die Verteidigung des Alters oder ihre Verdammung, die Verehrung oder die Verachtung. In tausenden von Jahren wurde und wird also die positive Wahrnehmung und Bewertung des Alters von einer negativen konterkariert – und umgekehrt, und die Überschriften zu den gegensätzlichen Positionen könnten heißen „Die Verteidigung des Alters und ihre Verdammung“ oder „Die Verehrung der Alten versus Verachtung“ und das gilt heute noch genauso.
Damit wird deutlich, Alter als solches und der Prozess des Alterns wurde und wird „modelliert von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen, den Lebensweisen, den Wahrnehmungen und Deutungsmustern der einzelnen Epochen und ihren jeweiligen Gesellschaftsformen. Zu altern ist eine historisch bedingte und wechselnde Größe des menschlichen Lebens.“ Zitat (Das Alter in Geschichte und Geschichtswissenschaft, Josef Ehmer, www.leopoldina.org)
Mit Beginn der Renaissance (15.16. Jahrhundert) wurden dann die rein philosophisch dichterischen Ausführungen zum Alter erweitert durch Fakten. Es entstanden Aufzeichnungen wie Bevölkerungsverzeichnisse, Gerichtsakten oder Steueraufnahmen die die Wahrnehmungen anreicherten und damit über die rein philosophischen Betrachtungen hinausgingen. Gab es in den Jahrhunderten vorher die individuellen Sichtweisen ihrer Verfasser, gibt es seitdem Fakten, die diese Sichtweisen ergänzen. Dazu gehören Statistiken über die Sterbefälle, Gerichtsakten zu Erbstreitigkeiten, aber auch Krankenakten
Fundierte Sozialhistorische Forschungen zur Geschichte des Alters gibt es dann allerdings erst seit den 1960er-Jahren, also wesentlich später, als die ideen- und geistesgeschichtliche Ansätze. Sie sind seitdem mit der Geschichte der Familie, mit Arbeit und Beruf und dem gesellschaftlichen und finanziellen Status verknüpft (Mitterauer, 1982 (1)) und gehen damit weit über einen Ansatz der Antike und des Mittelalters hinaus.
Parallel zur Situation des Alters in den jeweiligen Epochen, ist die Versorgung alter, gebrechlicher und pflegebedürftiger Menschen ein besonderes Thema. Die Menschen wurden von der Antike bis zum Ende des Mittelalters grundsätzlich nicht so alt. Kriege, Hungersnöte, Unfälle, mangelnde Hygiene und unheilbare Krankheiten wie Pest und Cholera, waren häufige Todesursachen. Zum Durchschnittsalter und zur Lebenserwartung machen wissenschaftliche Forschungen unterschiedliche Aussagen, aber man kann davon ausgehen, dass die Menschen im Durchschnitt in den jeweiligen Epochen nicht älter als 30 bis 40 Jahre wurden und nur 2 bis 6 % der Menschen 60 Jahre und älter. Es war also immer nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung der versorgt werden musste, wenn körperliche und geistige Beeinträchtigungen eintraten. Die Altersvorsorge war in der Antike Privatsache. In Griechenland und Rom waren die Nachkommen sogar gesetzlich verpflichtet, für die eigenen Eltern im Alter zu sorgen. Im Mittelalter herrschte vielfach die Einstellung vor, dass die Alten sich aufs Sterben vorbereiten sollten. Die alten Adligen und Kleriker allerdings lebten sehr üppig vielfach länger, denn sie hatten entsprechende Hilfen von Medizin, Bediensteten und Sklaven. Länger zu leben ist eben vielfach an eine gute medizinische und körperliche Versorgung geknüpft und die Möglichkeit das auch zu bezahlen.
Nächstenliebe und Barmherzigkeit
Mit der Anerkennung des Christentums begann eine Veränderung in der Haltung gegenüber Kranken und Hilfsbedürftigen und damit auch den Alten. Ein historisches Datum war das Jahr 313 n.Chr. als Kaiser Konstantin von Mailand mit dem „Toleranzedikt“ das erste Mal christliche Kirchen erlaubte. Unter dem Gebot der Nächstenliebe und Barmherzigkeit sollte Krankheit für Christen nicht mehr eine Strafe der Götter sein. Gleichzeitig führte das christliche Gebot der Armut dazu, dass sich einige Menschen in die Einsiedelei zurückzogen, womit der Begriff Mönch (=der einzelne Mensch) geprägt wurde. Es entstand die Idee der klösterlichen Lebensgemeinschaft. Benedikt von Nursia (480 – 543 n. Chr.), Begründer des Benediktinerordens, war einer der ersten Ordensgründer deren Ordensregeln die Krankenpflege beinhalteten, die dann Grundlage für spätere Ordensgründungen wurden. Namen wie Hildegard von Bingen, Franz von Assisi der den Franziskanerorden gründete oder die barmherzigen Brüder, sind heute noch geläufig und haben die Heilkunde und Versorgung Kranker und damit auch alter Kranker im Mittelalter geprägt.
Senizid, ultima ratio oder notwendiges Übel
Unabhängig von pflegerischer Fürsorge und medizinischer Entwicklung ist der Senizid, der aktive oder passive Opfertod von alten Menschen oder die Senio-Euthanasie, in allen Kulturen eine große Frage; wie verfährt eine Gesellschaft und aus welchen Gründen mit ihren Alten. Diese Art, das Leben alter und gebrechlicher Greise zu beenden, ist eine über alle Jahrhunderte hinweg immer wieder auftretende Maßnahme der Bevölkerungsregulation, um Kosten zu sparen oder das Überleben des Volkes zu sichern. In zurückliegenden Kulturräumen finden sich Praktiken wie das Tragen der sterbenden, todgeweihten Alten auf einen Berg. In verschiedenen Erzählungen wird der Senizid umstandslos gerechtfertigt; spätere Berichte warnen vor dem Töten der Alten und lassen humane Argumente zu. Oft wurde der Senizid rituell, öffentlich und festlich begangen, manchmal auch still und individuell. Dem eigentlichen Senizid ging vielfach eine Phase der räumlichen Ausgrenzung, Missachtung und Ächtung voraus. Die Alten wurden zunehmend verspottet, ignoriert, dann vernachlässigt, etwa indem ihnen das Essen weggenommen wurde und sie zum Betteln gezwungen waren, bis der Leidensweg in Euthanasie oder dem Verlöschen ein Ende fand. Ein Senizid war nie Ausdruck einer extrem barbarischen Gesinnung, sondern setzte die entwickelte Gedankenwelt von Bauern oder Hirten voraus und diente dem verantwortungsbewussten Ziel, das Überleben des Clans zu sichern. Quelle: (https://philpapers.org/rec/POUSUA) Eine Tatsache, die wir heute sicher nicht mehr nachvollziehen können.
Das Auf und Ab
Mit Beginn der Christianisierung waren also Kirchen und Klöster die Vorreiter erster Ansätze einer besseren Krankenversorgung . Sie gründeten ihr Handeln auf den Satz aus dem neuen Testament „Krank bin ich gewesen, und ihr habt mich besucht“. (Matthäus 25,36) Für die Pflege der Kranken sollte jedes Kloster einen speziellen Raum und einen eigenen Diener besitzen. Aus dem Raum wurde das Infirmarium, der Krankensaal und später das Klosterspital, aus dem Diener wurde der Mönchsarzt und Klosterapotheker. Im öffentlichen Raum gab es die Spitäler, in ihnen wurden neben Pilgern und Obdachlosen auch Arme, Invaliden, chronisch oder akut Erkrankte und eben auch erkrankte Alte untergebracht. Es entwickelte sich eine Bandbreite medizinischer Erkenntnisse und Persönlichkeiten, die bis ins 15. Anfang 16. Jahrhundert den Menschen halfen, und die Medizin erlangte durch erweitertes Wissen einen zunehmenden Stellenwert. In der Mitte des Mittelalters entstanden parallel die ersten Universitäten, berühmt ist die Schule von Salerno, Gründung um 1000 nach Christus, an denen Medizin studiert werden konnte. In dieser Zeit begann sich auch die Medizin von der Pflege zu trennen. Die Pflege alter kranker Menschen gehörte zur Krankenpflege dazu, hatte aber keine eigenen Regeln. Von einer guten Pflege und Medizin profitierten bei den alten Menschen allerdings vor allem wieder nur die Kleriker, Adeligen und Reichen.
Mit dem 16. Jahrhundert gab es eine Wende. Dem Menschen selber wurde die Schuld der Krankheit zugerechnet, sie war keine Strafe Gottes mehr, mit der man barmherzig umging. Es war die Zeit der Schuldzuweisungen, Hexenverfolgungen und vieler Kriege, und die Kirche verlor immer mehr an Einfluss. Der alte Mensch, vor allem in den unteren Schichten, fiel in diesen Zeiten fast vollständig durch das Raster und der Anteil getöteter alter Menschen war überproportional hoch.
Im 17. Jahrhundert änderte sich die Situation wieder. Durch kirchliche Vertreter richtete sich das Augenmerk erneut auf die vernachlässigte Armen- und Krankenpflege, zu der auch Alte und Greise gehörten. Es entstanden neue Ordensgemeinschaften wie die „Barmherzigen Brüder“, aber auch die „Barmherzigen Schwestern“ oder Vinzentinerinnen.
Im 18. und 19. Jahrhundert gab es dann eine Zeit intensiver Entwicklungen in der Medizin, Namen wie Semmelweis (Händedesinfektion), Robert Koch (Begründer der Bakteriologie), Robert Lister (Antisepsis), Rudolf Virchow (Begründer der Zellenlehre) sind sicher bekannt. Durch diesen Fortschritt wurden auch immer höhere Anforderungen an das Pflegepersonal gestellt. Ein Professor in Heidelberg, Franz Anton Mai, prägte den Satz: „Nicht die Arznei, sondern eine gute Pflege stellt die Gesundheit wieder her“ und forderte eine bessere Ausbildung für die Pflegekräfte. 1782 gründete er die erste Krankenwärterschule mit einer dreimonatigen Ausbildung und verfasste dafür ein Lehrbuch. Die Ausbildung wurde allerdings nach wenigen Jahren wieder geschlossen.
Mit der sich verbessernden Medizin und Pflege und damit auch einer stark zurückgehenden Säuglingssterblichkeit, ist rückblickend seit der Veröffentlichung der ersten allgemeinen Sterbetafel von 1871/1881 für das damalige Reichsgebiet ein langfristiger Trend der steigenden Lebenserwartung zu beobachten. Damals betrug die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer 35,6 Jahre und für Frauen 38,5 Jahre. Nach den Ergebnissen der aktuellen Sterbetafel von 2020/2022 liegen diese Werte bei 78,3 Jahren (Männer) beziehungsweise 83,2 Jahren (Frauen). Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/sterbetafel.html
Da die Versorgung älterer und gebrechlicher Menschen bis in diese Zeit primär bei ihren Familienangehörigen lag und die Zahl der Senioren, speziell der pflegebedürftigen älteren Menschen, anstieg, wurde der Bedarf derjenigen, die keine Nachkommen oder Angehörigen besaßen, größer. Wer Geld hatte, konnte sich, wie in allen Zeiten, in klösterliche Gemeinschaften oder auch Hospitäler und Hospize einkaufen. Mittellose Menschen wurden in Armen- und Siechenhäusern untergebracht. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kümmerten sich dann verstärkt verschiedene konfessionelle und private Vereine sowie Stiftungen um den Personenkreis gebrechlicher Seniorinnen und Senioren, aber die Versorgung unabhängig vom Geldbeutel war erst ganz am Anfang.
Im 19. Jahrhundert spürten viele Menschen die durch die Industrialisierung zusätzlich entstehende Armut, was zu einem erneuten Sinneswandel führte: alte Traditionen und Gesinnungen wurden wiederentdeckt. Der Arme und damit auch der arme Alte wurde nicht mehr als einsames, isoliertes Individuum gesehen, sondern als ein existenziell auf die Gemeinschaft angewiesenes Wesen – die romantische Bewegung aus der Mitte des Jahrhunderts hinterlässt hier ihre Spuren. „Armut“ wird neu definiert und ist nicht länger unveränderlicher Bestandteil einer göttlichen Ordnung, sondern eine systemische Störung – ein Fehler, dem man mit Gegenmaßnahmen begegnen kann und muss, eine ganz neue Sichtweise, die bis heute unsere soziale Arbeit prägt.
Grundlagen unserer heutigen Versorgungsangebote
Die Anstrengungen, kranken, armen und hilfsbedürftigen Menschen zu helfen, erreichten eine neue Qualität. Es entstehen neue Vereine, Ordensgesellschaften und Anstalten zur öffentlichen Fürsorge. Ein Pionier vor allem im Bereich der Pflege war Theodor Fliedner (1800 bis 1864), ein protestantischer Theologe, der erkannte, dass die katastrophalen Zustände in der Kranken- und Altenpflege nur durch gezielte Ausbildung zu verändern waren und gründete mithilfe seiner Frau Frederike 1836 das erste Diakonissenhaus, die heutige „Kaiserswerther Diakonie“, in dem ausgewählte Schülerinnen eine gezielte, durchdachte Ausbildung erhielten und gleichzeitig für ihre Arbeitsleistung auch bezahlt wurden. Sie sollten ein festes Gehalt bekommenem, um damit das willkürliche „Lohnwärtersystem“ (unqualifizierte Pflegekräfte) zu verändern. Es folgten bis ins 20. Jahrhundert hinein viele Anstrengungen und Gründungen sozialer Träger und Einrichtungen. Namen wie Johann Hinrich Wichern, Lorenz Werthmann und Henry Dunant sind engagierte Persönlichkeiten gewesen, deren Namen heute noch mit der Diakonie, der Caritas und dem Roten Kreuz verbunden sind, und aus denen Wohlfahrtsverbände entstanden, die die Soziale Arbeit bis heute maßgeblich prägen.
Die Entwicklung der Medizin führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann aber auch zu einer stärkeren Selektion von Spital/Hospital, Pflegeheim und psychiatrischer Anstalt. Es gab Bürger- und Altersheime, die oftmals in abgelegenen Randlagen angesiedelt wurden. Die Bemühungen, ältere pflegebedürftige Menschen separat zu versorgen, führten aber dazu, dass damit eine Ausgliederung der Betagten aus ihrem primären Lebensraum verbunden war und die Versorgung aus unserer heutigen Sicht doch eher als mangelhaft zu bezeichnen ist. Schlafsäle, schlechte Versorgung und sehr mangelhafte Pflege, die von unausgebildeten Frauen ausgeführt wurde, waren die Realität.
Altenpflege wird ein eigener Beruf
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt durch Kriege und den Nationalsozialismus. Bis in die 1950er-Jahre wurden die älteren Angehöriger in der Familie versorgt und gepflegt. Wo mehrere Generationen gemeinsam in einem Haus lebten, war das Selbstverständlichkeit. Alleinstehende und Arme mussten nach wie vor in einem Alten- oder Siechenheim unterkommen und die Versorgung war wie beschrieben schlecht! In Folge des Zweiten Weltkriegs stieg die Zahl der Pflegebedürftigen ohne einen stabilen familiären Hintergrund und die Kapazitäten für sie reichten bald nicht mehr aus. Die Heime suchten dringend neue Mitarbeiterinnen, denn die Pflegearbeit war nach wie vor ein reiner Frauenberuf. Schließlich waren – nach damaliger Ansicht – Frauen durch ihre „weiblichen Eigenschaften“ prädestiniert dafür, auch ohne Ausbildung alte Menschen zu pflegen.
Entgegen der Entwicklung in der Krankenpflege, die immer auch ein Stück an die Entwicklung in der Medizin gekoppelt war, hatten pflegebedürftige alte Menschen kaum eine fachlich kompetente Pflege und waren in den Siechenhäusern immer noch von der Nächstenliebe und Barmherzigkeit ihrer Helfer abhängig. Das sollte sich Mitte des 20. Jahrhunderts ändern.
Als verantwortungsvolle Mitarbeiter merkten, dass es nicht ausreichte, einfach nur Gutes tun zu wollen, begann man mit einrichtungsinternen Schulungen. Da die Zahl der Heime immer weiter zunahm, wurde auch der Bedarf an Mitarbeitern mehr, und es etablierten sich die ersten Ausbildungsstätten, um den drängenden Problemen entgegenzuwirken. Eine offizielle, klar geregelte Ausbildung zum*r Altenpfleger*in gab es aber noch nicht. Diese entstand erst Ende der 1960er-Jahre. Am 10. Juli 1969 trat die bundesweit erste staatliche Ausbildungsordnung in der Altenpflege in Kraft. Mit dieser Ordnung definierten sich erstmalig Dauer, Inhalte und Ziele der Ausbildung. Schon bald gab es sie in allen Bundesländern und dann gründete sich auch der erste deutsche Berufsverband der Altenpfleger*innen (DBVA) im Jahr 1974.
Der Ausbildungsgang entwickelte sich schnell weiter und wurde mehrmals inhaltlich erweitert und zeitlich verlängert – in den 1980ern zunächst auf zwei, erst durch das Altenpflegegesetz vom 17. November 2000 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 2003 auf drei Jahre festgesetzt und bundeseinheitlich geregelt. Rechtlich wurde er damit dann auch zu den „anderen“ Heilberufen gezählt.
Gesetze regeln die Pflege
Mit den Regeln für eine fachliche Ausbildung entwickelten sich parallel Gesetze zum Betrieb von Altenheimen. Das erste war das „Gesetz über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige“ (Heimgesetz – HeimG), das am 01.01.1975 in Kraft trat. Es ging darum, ein Aufsichtsorgan zu etablieren, die Heimaufsicht, aber auch Voraussetzungen für den Betrieb eines Heims, die Qualifikation der Leitung und ein Mitspracherecht für die Bewohner festzulegen.
Am 1.1.1995 trat dann das Pflegeversicherungsgesetz in Kraft. Der Titel im Bundesanzeiger heißt: Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit“. So wichtig wie dieses Gesetz war und ist, genauso deutlich muss man auch sagen, dass es lediglich eine Teilkaskoversicherung ist. Durch Festbeträge für einzelne Leistungen, bleiben immer noch Kostenanteile für die Betroffenen, die dann entweder aus eigenen Mitteln oder auch durch den Sozialhilfeträger finanziert werden müssen, wenn das eigene Geld nicht ausreicht.
Alle drei Punkte, die Pflegeversicherung, die entsprechenden Kontrollen der zu erbringenden Leistungen und die Ausbildung für Pflegekräfte, waren wichtige Schritte zu einer guten Versorgung der Senior*innen, die Hilfe und Pflege benötigen. Die staatliche „Fürsorge“ entwickelte sich allerdings in den über fünfzig Jahren bis heute zu einem gesetzlichen Moloch, der den Blick für die Notwendigkeiten, Bedürfnisse und Wünsche dieser Menschen vielfach in den Hintergrund drängt.
Allein für die Pflegeversicherung gibt es in den dreißig Jahren ihrer Existenz über 30 Gesetze, ergänzt um Dutzende von Verordnungen, die die Kosten, die Leistungen und die Qualität im ambulanten wie dem stationären Bereich immer wieder verändern und neu reglementieren. Dabei geht es nicht nur um die Finanzen, wie den Leistungsumfang oder die Beiträge, sondern auch um die sich ständig ausweitenden Qualitätskontrollen. Grundlage ist die Verschriftlichung aller erbrachten Leistungen, denen eine detaillierte Planung vorausgehen muss. Wichtige Leistungsbereiche werden mittlerweile in sogenannten Expertenstandards beschrieben und sollen Maßstab für das Handeln der Pflegekräfte im Pflegealltag sein. Alle erbrachten Leistungen sind dann zu dokumentieren, um die Ergebnisse überprüfbar zu machen. Heimgesetz, Heimpersonalverordnung, Heimmitwirkungsverordnung, das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, sind weitere Gesetze, die sicherlich gut gemeint sind, aber in ihrer Komplexität kaum überschaubar. Dieser Gesetzes-Dschungel frisst einen großen Teil der den Mitarbeitern zur Verfügung stehenden Zeit für die Administration, die dann für die Menschen nicht mehr zur Verfügung steht.
Die Qualität der Altenpflege hat sich in Ergänzung wissenschaftlicher Expertisen sehr positiv entwickelt, die sehr engen Personalschlüssel und die beschriebene umfangreiche Administration, sind die eigentliche Ursache dafür, dass die Pflegekräfte eine individuelle und menschenwürdige Pflege kaum umsetzen können. Im Ergebnis haben die beschriebenen Bedingungen dazu geführt, dass Unterbesetzungen, hohe Krankenstände und damit verbunden eine entsprechende Fluktuation dazu geführt haben, dass viele Mitarbeiter ausgebrannt sind und sich das über die Jahre hinweg zu einem massiven Fachkräftemangel entwickelt hat. Eine Wende wird sehr schwierig, mehr Personal bedeutet mehr Kosten, höhere Kosten in der Pflege haben höhere Beiträge der Pflegeversicherung zur Folge oder die Kommunen müssen mehr Sozialhilfe finanzieren. Ein Teufelskreis, der kaum zu durchbrechen ist. Qualität hat ihren Preis, und es ist zu befürchten, dass die Schere sich weiter öffnet. Noch sind die Gesetze eine Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, aber eine sehr fragile.
Fazit
Schauen wir auf die Realität: Noch nie in der nachvollziehbaren Geschichte dieser Erde sind so viele Menschen so alt geworden wie im 20. und 21. Jahrhundert, das heißt, das Durchschnittsalter hat dank der Medizin und der gesellschaftlichen Bedingungen heute eine Höhe erreicht, die nach der Berufstätigkeit einen angenehmen Lebensabend ermöglicht. Hobbys, Reisen, ehrenamtliche Tätigkeiten geben dem Alter Sinn und machen es zu einem erfüllten letzten Lebensabschnitt.
Wenn wir allerdings nach vorne schauen, ist festzustellen, dass unsere Gesellschaft überaltert. Der Anteil der über 65-Jährigen stieg von 15% im Jahr 1999 auf 22,1% im Jahr 2021 und er steigt weiter. Allein die Zahl der Menschen ab 80 wird sich bis zum Jahr 2050 von 6 Millionen auf 8,4 bis 9,9 Millionen erhöhen (Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes 2023). Geringe Geburtenraten und damit ein immer weiter ansteigender Anteil der Alten stellt uns also vor zunehmende Herausforderungen. Die Versorgung gebrechlicher, pflegebedürftiger Seniorinnen und Senioren zeigt schon heute erste Lücken. Ca. 80% der 5 Millionen Pflegebedürftigen in diesem Land, das sind fast 4 Millionen, werden aktuell zu Hause versorgt, davon etwa 1 Million mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste. Das heißt, mehr als die Hälfte aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland wird ausschließlich von Familienangehörigen versorgt. Wird das in Zukunft weiter so sein? Gleichzeitig benötigen wir für mehr als 1,8 Millionen (weiter ansteigend) Pflegebedürftige das entsprechende Fachpersonal, das heute schon fehlt.
Ein anderer Aspekt darf nicht unterschätzt werden: die Haltung der jüngeren Generation den Alten gegenüber bekommt die ersten Risse. Die Diskussionen, dass die junge Generation eines Tages den angehäuften Schuldenberg bezahlen muss, oder der Generationenvertrag der Rente schon seit Jahren kippt, führt zu Spannungen zwischen Jung und Alt, deren Auswirkungen wir noch nicht wirklich spüren.
Es spielt keine Rolle, ob es ein zyklisches Modell der Abfolge positiver und negativer Einstellungen zum Alter gibt oder die Gleichzeitigkeit beider Pole das Maß ist. Es gilt, die Frage zu beantworten: In welchem Stadium befinden wir uns gegenwärtig und wie können wir den sich verändernden Verhältnissen in der Zukunft begegnen? Die Einstellungen zum Alter können schnell kippen, wenn die Übermacht der alten Menschen in Politik und Gesellschaft die finanziellen und gesellschaftspolitischen Bedingungen der jüngeren Generation überfordern. Die Fragen: „Wer tilgt eigentlich die hohe Staatsverschuldung?“ oder „Wer bezahlt die Renten der Babyboomer in Zukunft?“ sind schon jetzt dazu geeignet, das Gleichgewicht ins Wanken zu bringen.
Bei den ersten Seniorinnen und Senioren entstehen diesbezüglich schon Ängste, sie empfinden einen zunehmenden Druck und eine Belastung, die dazu führt, dass sie sich überflüssig fühlen und an der Entwicklung schuld sein. Abwegig? Pessimistisch? Der Theologe und Soziologe Reimer Gronemeyer spricht von der aktuellen „Modernisierung des Senizids“. „Der sanfte, aber deutlich zunehmende Druck auf Selbstbeseitigung dürfte mit den kommenden ökonomischen und sozialen Krisen steigen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Senizid) Es ist eine sensible Zeit. Die Überalterung unserer Gesellschaft fordert uns heraus. Alle sozialen Errungenschaften, die von der Krankenversicherung über die Rentenversicherungen bis zur Pflegeversicherung reichen, stehen finanziell auf dem Prüfstand und die Versorgung gebrechlicher, pflegebedürftiger Menschen ist fragil und wird auch durch politischen Aktivismus nicht zu lösen sein. Die aktuellen Bemühungen des Gesundheitsministers und er ist der erste Minister, der das erkannt hat und ausspricht, sind ehrenwert, aber er wird die Versäumnisse der letzten zwanzig / dreißig Jahre nicht aufholen können. Wir Alten müssen auch selber aktiv werden, es gibt gute Bemühungen, die den Weg zeigen: Wohngemeinschaften, Mehrgenerationenhäuser, niedrigschwellige Angebote im Gemeinwesen, IT-Netzwerke und andere. Alter ist kein Privileg, Alter ist eine Verantwortung und die Herausforderung, der Realität ins Auge zu sehen, um die Generationengerechtigkeit nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen!
(1) Mitterauer, M. (1982). Problemfelder einer Sozialgeschichte des Alters. In H. Konrad (Hrsg.),