Wird das Alter wieder das fünfte Rad am Wagen?

Abriss zur Geschichte des Alters

„Altern als physiologischer Vorgang ist eines der am wenigsten verstandenen Phänomene der Biologie. Jeder Organismus, jedes Gewebe und jede Zelle altert auch ohne äußere Einflüsse und relativ unabhängig von Umweltbedingungen. Diese universellen Prozesse nennt man auch primäres Altern. Sie werden vor allem durch die Erbinformation des Individuums bestimmt. Daneben unterscheidet man aber auch das sekundäre Altern, das durch äußere Einflüsse ausgelöst wird.“ (Wikipedia)

Dieses sekundäre Altern ist, soweit wir auf schriftliche Aussagen zurückgreifen können, in tausenden von Jahren einem ständigen Auf und Ab unterworfen. Es wurde viel geschrieben, philosophiert, geforscht und all die vielfältigen Ergebnisse zeigen, Alter ist nicht nur eine physiologische Erscheinung, Alter ist darüber hinaus eine kulturelle und soziale Konstruktion, die nicht nur von biologischen und medizinischen Faktoren abhängig, sondern auch von soziodemografischen und ökonomischen, d.h. die Situation und die Einstellung zum Alter ergibt sich aus den sozialen und kulturellen Gegebenheiten jeweiliger Epochen.

In allen Epochen haben Dichter, Philosophen und in der Neuzeit auch Soziologen und Psychologen ihre Sichtweise beschrieben, so auch der amerikanische Soziologe E.W. Burgess 1962 auf einem Kongress in Kalifornien, sagte er: „In allen historischen Gesellschaften vor der Industriellen Revolution, fast ohne Ausnahme, erfreuten sich die alternden Menschen einer vorteilhaften Position. Ihre ökonomische Sicherheit und ihr sozialer Status wurden durch ihre Rolle und durch ihren Platz in der Großfamilie garantiert. Die Großfamilie war mitunter eine wirtschaftliche Produktionseinheit, häufig eine Einheit der Haushaltsführung, und immer eine dichte Einheit sozialer Beziehungen und reziproker Dienste zwischen den Generationen. Aber das Vorrecht über Eigentum, Macht und Entscheidungen stand den Älteren zu. Dieses Goldene Zeitalter des Lebens der älteren Personen wurde gestört und untergraben durch die Industrielle Revolution. In allen Ländern der westlichen Kultur wurde dieser ältere patriarchalische Typus von Familienstrukturen und Verwandtschaftsbeziehungen durch Industrialisierung und Urbanisierung grundlegend verändert.“

Das ist eine sehr einseitige Sichtweise, denn bereits 4300 vor Christus schrieb der ägyptische Dichter und Philosoph Ptahhotep in einer Vorrede zu einem Text zur Weisheits- und Morallehre: „Was das Alter dem Menschen antut: Schlecht geht es in jeder Hinsicht.“ (Hornung, 1996). Oder wie es übersetzt bei S.de Beauvoir (2004,S.116) steht: „Das Alter ist das schlimmste Unglück, das einem Menschen widerfahren kann.“

Ein „goldenes Zeitalter der Alten“ hat es also nie gegeben, vielmehr zeigt die Bandbreite der Haltungen zum Alter die über Jahrhunderte hinweg von Philosophen und Dichtern geprägten sehr gegensätzlichen Wortverknüpfungen, die auch die ganze Ambivalenz der Diskurse deutlich machen: wie „schlimmes Alter“, „kränkliches Alter“, „hässliches“ oder gar „verhasstes Alter“. Das Alter wurde vielfach gleichgesetzt mit Hinfälligkeit und Pflegebedürftigkeit oder als Rückfall in die Hilflosigkeit des Kindes betrachtet. Das ist allerdings nur die eine Seite, gleichzeitig gibt es die positiven Beschreibungen: Das Alter als Anhäufung von Erfahrung, der alte Mensch als Träger des gesellschaftlichen Gedächtnisses oder als Speicher des in einem langen Leben erworbenen Wissens und hier kommen auch Frauen ins Spiel – als Geschichtenerzählerin in Gesellschaft und im Familienkreis. Alter erfährt Achtung und Wertschätzung und damit einen positiven Status in der Gesellschaft.

Die Kulturgeschichte hat sichtbar gemacht, dass Altersbilder und Stereotypen vom Alter ebenso wie Einstellungen zum Alter zeitübergreifend ein ganzes Arsenal von vielfältigen, auch entgegengesetzten Positionen umfassen, wie die Verteidigung des Alters oder ihre Verdammung, die Verehrung oder die Verachtung. In tausenden von Jahren wurde und wird also die positive Wahrnehmung und Bewertung des Alters von einer negativen konterkariert – und umgekehrt, und die Überschriften zu den gegensätzlichen Positionen könnten heißen „Die Verteidigung des Alters und ihre Verdammung“ oder „Die Verehrung der Alten versus Verachtung“ und das gilt heute noch genauso.

Damit wird deutlich, Alter als solches und der Prozess des Alterns wurde und wird „modelliert von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen, den Lebensweisen, den Wahrnehmungen und Deutungsmustern der einzelnen Epochen und ihren jeweiligen Gesellschaftsformen. Zu altern ist eine historisch bedingte und wechselnde Größe des menschlichen Lebens.“ Zitat (Das Alter in Geschichte und Geschichtswissenschaft, Josef Ehmer, www.leopoldina.org)

Mit Beginn der Renaissance (15.16. Jahrhundert) wurden dann die rein philosophisch dichterischen Ausführungen zum Alter erweitert durch Fakten. Es entstanden Aufzeichnungen wie Bevölkerungsverzeichnisse, Gerichtsakten oder Steueraufnahmen die die Wahrnehmungen anreicherten und damit über die rein philosophischen Betrachtungen hinausgingen. Gab es in den Jahrhunderten vorher die individuellen Sichtweisen ihrer Verfasser, gibt es seitdem Fakten, die diese Sichtweisen ergänzen. Dazu gehören Statistiken über die Sterbefälle, Gerichtsakten zu Erbstreitigkeiten, aber auch Krankenakten

Fundierte Sozialhistorische Forschungen zur Geschichte des Alters gibt es dann allerdings erst seit den 1960er-Jahren, also wesentlich später, als die ideen- und geistesgeschichtliche Ansätze. Sie sind seitdem mit der Geschichte der Familie, mit Arbeit und Beruf und dem gesellschaftlichen und finanziellen Status verknüpft (Mitterauer, 1982 (1)) und gehen damit weit über einen Ansatz der Antike und des Mittelalters hinaus.

Parallel zur Situation des Alters in den jeweiligen Epochen, ist die Versorgung alter, gebrechlicher und pflegebedürftiger Menschen ein besonderes Thema. Die Menschen wurden von der Antike bis zum Ende des Mittelalters grundsätzlich nicht so alt. Kriege, Hungersnöte, Unfälle, mangelnde Hygiene und unheilbare Krankheiten wie Pest und Cholera, waren häufige Todesursachen. Zum Durchschnittsalter und zur Lebenserwartung machen wissenschaftliche Forschungen unterschiedliche Aussagen, aber man kann davon ausgehen, dass die Menschen im Durchschnitt in den jeweiligen Epochen nicht älter als 30 bis 40 Jahre wurden und nur 2 bis 6 % der Menschen 60 Jahre und älter. Es war also immer nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung der versorgt werden musste, wenn körperliche und geistige Beeinträchtigungen eintraten. Die Altersvorsorge war in der Antike Privatsache. In Griechenland und Rom waren die Nachkommen sogar gesetzlich verpflichtet, für die eigenen Eltern im Alter zu sorgen. Im Mittelalter herrschte vielfach die Einstellung vor, dass die Alten sich aufs Sterben vorbereiten sollten. Die alten Adligen und Kleriker allerdings lebten sehr üppig vielfach länger, denn sie hatten entsprechende Hilfen von Medizin, Bediensteten und Sklaven. Länger zu leben ist eben vielfach an eine gute medizinische und körperliche Versorgung geknüpft und die Möglichkeit das auch zu bezahlen.

Nächstenliebe und Barmherzigkeit

Mit der Anerkennung des Christentums begann eine Veränderung in der Haltung gegenüber Kranken und Hilfsbedürftigen und damit auch den Alten. Ein historisches Datum war das Jahr 313 n.Chr. als Kaiser Konstantin von Mailand mit dem „Toleranzedikt“ das erste Mal christliche Kirchen erlaubte. Unter dem Gebot der Nächstenliebe und Barmherzigkeit sollte Krankheit für Christen nicht mehr eine Strafe der Götter sein. Gleichzeitig führte das christliche Gebot der Armut dazu, dass sich einige Menschen in die Einsiedelei zurückzogen, womit der Begriff Mönch (=der einzelne Mensch) geprägt wurde. Es entstand die Idee der klösterlichen Lebensgemeinschaft. Benedikt von Nursia (480 – 543 n. Chr.), Begründer des Benediktinerordens, war einer der ersten Ordensgründer deren Ordensregeln die Krankenpflege beinhalteten, die dann Grundlage für spätere Ordensgründungen wurden. Namen wie Hildegard von Bingen, Franz von Assisi der den Franziskanerorden gründete oder die barmherzigen Brüder, sind heute noch geläufig und haben die Heilkunde und Versorgung Kranker und damit auch alter Kranker im Mittelalter geprägt.

Senizid, ultima ratio oder notwendiges Übel

Unabhängig von pflegerischer Fürsorge und medizinischer Entwicklung ist der Senizid, der aktive oder passive Opfertod von alten Menschen oder die Senio-Euthanasie, in allen Kulturen eine große Frage; wie verfährt eine Gesellschaft und aus welchen Gründen mit ihren Alten. Diese Art, das Leben alter und gebrechlicher Greise zu beenden, ist eine über alle Jahrhunderte hinweg immer wieder auftretende Maßnahme der Bevölkerungsregulation, um Kosten zu sparen oder das Überleben des Volkes zu sichern. In zurückliegenden Kulturräumen finden sich Praktiken wie das Tragen der sterbenden, todgeweihten Alten auf einen Berg. In verschiedenen Erzählungen wird der Senizid umstandslos gerechtfertigt; spätere Berichte warnen vor dem Töten der Alten und lassen humane Argumente zu. Oft wurde der Senizid rituell, öffentlich und festlich begangen, manchmal auch still und individuell. Dem eigentlichen Senizid ging vielfach eine Phase der räumlichen Ausgrenzung, Missachtung und Ächtung voraus. Die Alten wurden zunehmend verspottet, ignoriert, dann vernachlässigt, etwa indem ihnen das Essen weggenommen wurde und sie zum Betteln gezwungen waren, bis der Leidensweg in Euthanasie oder dem Verlöschen ein Ende fand. Ein Senizid war nie Ausdruck einer extrem barbarischen Gesinnung, sondern setzte die entwickelte Gedankenwelt von Bauern oder Hirten voraus und diente dem verantwortungsbewussten Ziel, das Überleben des Clans zu sichern. Quelle: (https://philpapers.org/rec/POUSUA) Eine Tatsache, die wir heute sicher nicht mehr nachvollziehen können.

Das Auf und Ab

Mit Beginn der Christianisierung waren also Kirchen und Klöster die Vorreiter erster Ansätze einer besseren Krankenversorgung . Sie gründeten ihr Handeln auf den Satz aus dem neuen Testament „Krank bin ich gewesen, und ihr habt mich besucht“. (Matthäus 25,36) Für die Pflege der Kranken sollte jedes Kloster einen speziellen Raum und einen eigenen Diener besitzen. Aus dem Raum wurde das Infirmarium, der Krankensaal und später das Klosterspital, aus dem Diener wurde der Mönchsarzt und Klosterapotheker. Im öffentlichen Raum gab es die Spitäler, in ihnen wurden neben Pilgern und Obdachlosen auch Arme, Invaliden, chronisch oder akut Erkrankte und eben auch erkrankte Alte untergebracht. Es entwickelte sich eine Bandbreite medizinischer Erkenntnisse und Persönlichkeiten, die bis ins 15. Anfang 16. Jahrhundert den Menschen halfen, und die Medizin erlangte durch erweitertes Wissen einen zunehmenden Stellenwert. In der Mitte des Mittelalters entstanden parallel die ersten Universitäten, berühmt ist die Schule von Salerno, Gründung um 1000 nach Christus, an denen Medizin studiert werden konnte. In dieser Zeit begann sich auch die Medizin von der Pflege zu trennen. Die Pflege alter kranker Menschen gehörte zur Krankenpflege dazu, hatte aber keine eigenen Regeln. Von einer guten Pflege und Medizin profitierten bei den alten Menschen allerdings vor allem wieder nur die Kleriker, Adeligen und Reichen.

Mit dem 16. Jahrhundert gab es eine Wende. Dem Menschen selber wurde die Schuld der Krankheit zugerechnet, sie war keine Strafe Gottes mehr, mit der man barmherzig umging. Es war die Zeit der Schuldzuweisungen, Hexenverfolgungen und vieler Kriege, und die Kirche verlor immer mehr an Einfluss. Der alte Mensch, vor allem in den unteren Schichten, fiel in diesen Zeiten fast vollständig durch das Raster und der Anteil getöteter alter Menschen war überproportional hoch.

Im 17. Jahrhundert änderte sich die Situation wieder. Durch kirchliche Vertreter richtete sich das Augenmerk erneut auf die vernachlässigte Armen- und Krankenpflege, zu der auch Alte und Greise gehörten. Es entstanden neue Ordensgemeinschaften wie die „Barmherzigen Brüder“, aber auch die „Barmherzigen Schwestern“ oder Vinzentinerinnen.

Im 18. und 19. Jahrhundert gab es dann eine Zeit intensiver Entwicklungen in der Medizin, Namen wie Semmelweis (Händedesinfektion), Robert Koch (Begründer der Bakteriologie), Robert Lister (Antisepsis), Rudolf Virchow (Begründer der Zellenlehre) sind sicher bekannt. Durch diesen Fortschritt wurden auch immer höhere Anforderungen an das Pflegepersonal gestellt. Ein Professor in Heidelberg, Franz Anton Mai, prägte den Satz: „Nicht die Arznei, sondern eine gute Pflege stellt die Gesundheit wieder her“ und forderte eine bessere Ausbildung für die Pflegekräfte. 1782 gründete er die erste Krankenwärterschule mit einer dreimonatigen Ausbildung und verfasste dafür ein Lehrbuch. Die Ausbildung wurde allerdings nach wenigen Jahren wieder geschlossen.

Mit der sich verbessernden Medizin und Pflege und damit auch einer stark zurückgehenden Säuglingssterblichkeit, ist rückblickend seit der Veröffentlichung der ersten allgemeinen Sterbetafel von 1871/1881 für das damalige Reichsgebiet ein langfristiger Trend der steigenden Lebenserwartung zu beobachten. Damals betrug die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer 35,6 Jahre und für Frauen 38,5 Jahre. Nach den Ergebnissen der aktuellen Sterbetafel von 2020/2022 liegen diese Werte bei 78,3 Jahren (Männer) beziehungsweise 83,2 Jahren (Frauen). Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/sterbetafel.html

Da die Versorgung älterer und gebrechlicher Menschen bis in diese Zeit primär bei ihren Familienangehörigen lag und die Zahl der Senioren, speziell der pflegebedürftigen älteren Menschen, anstieg, wurde der Bedarf derjenigen, die keine Nachkommen oder Angehörigen besaßen, größer. Wer Geld hatte, konnte sich, wie in allen Zeiten, in klösterliche Gemeinschaften oder auch Hospitäler und Hospize einkaufen. Mittellose Menschen wurden in Armen- und Siechenhäusern untergebracht. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kümmerten sich dann verstärkt verschiedene konfessionelle und private Vereine sowie Stiftungen um den Personenkreis gebrechlicher Seniorinnen und Senioren, aber die Versorgung unabhängig vom Geldbeutel war erst ganz am Anfang.

Im 19. Jahrhundert spürten viele Menschen die durch die Industrialisierung zusätzlich entstehende Armut, was zu einem erneuten Sinneswandel führte: alte Traditionen und Gesinnungen wurden wiederentdeckt. Der Arme und damit auch der arme Alte wurde nicht mehr als einsames, isoliertes Individuum gesehen, sondern als ein existenziell auf die Gemeinschaft angewiesenes Wesen – die romantische Bewegung aus der Mitte des Jahrhunderts hinterlässt hier ihre Spuren. „Armut“ wird neu definiert und ist nicht länger unveränderlicher Bestandteil einer göttlichen Ordnung, sondern eine systemische Störung – ein Fehler, dem man mit Gegenmaßnahmen begegnen kann und muss, eine ganz neue Sichtweise, die bis heute unsere soziale Arbeit prägt.

Grundlagen unserer heutigen Versorgungsangebote

Die Anstrengungen, kranken, armen und hilfsbedürftigen Menschen zu helfen, erreichten eine neue Qualität. Es entstehen neue Vereine, Ordensgesellschaften und Anstalten zur öffentlichen Fürsorge. Ein Pionier vor allem im Bereich der Pflege war Theodor Fliedner (1800 bis 1864), ein protestantischer Theologe, der erkannte, dass die katastrophalen Zustände in der Kranken- und Altenpflege nur durch gezielte Ausbildung zu verändern waren und gründete mithilfe seiner Frau Frederike 1836 das erste Diakonissenhaus, die heutige „Kaiserswerther Diakonie“, in dem ausgewählte Schülerinnen eine gezielte, durchdachte Ausbildung erhielten und gleichzeitig für ihre Arbeitsleistung auch bezahlt wurden. Sie sollten ein festes Gehalt bekommenem, um damit das willkürliche „Lohnwärtersystem“ (unqualifizierte Pflegekräfte) zu verändern. Es folgten bis ins 20. Jahrhundert hinein viele Anstrengungen und Gründungen sozialer Träger und Einrichtungen. Namen wie Johann Hinrich Wichern, Lorenz Werthmann und Henry Dunant sind engagierte Persönlichkeiten gewesen, deren Namen heute noch mit der Diakonie, der Caritas und dem Roten Kreuz verbunden sind, und aus denen Wohlfahrtsverbände entstanden, die die Soziale Arbeit bis heute maßgeblich prägen.

Die Entwicklung der Medizin führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann aber auch zu einer stärkeren Selektion von Spital/Hospital, Pflegeheim und psychiatrischer Anstalt. Es gab Bürger- und Altersheime, die oftmals in abgelegenen Randlagen angesiedelt wurden. Die Bemühungen, ältere pflegebedürftige Menschen separat zu versorgen, führten aber dazu, dass damit eine Ausgliederung der Betagten aus ihrem primären Lebensraum verbunden war und die Versorgung aus unserer heutigen Sicht doch eher als mangelhaft zu bezeichnen ist. Schlafsäle, schlechte Versorgung und sehr mangelhafte Pflege, die von unausgebildeten Frauen ausgeführt wurde, waren die Realität.

Altenpflege wird ein eigener Beruf

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt durch Kriege und den Nationalsozialismus. Bis in die 1950er-Jahre wurden die älteren Angehöriger in der Familie versorgt und gepflegt. Wo mehrere Generationen gemeinsam in einem Haus lebten, war das Selbstverständlichkeit. Alleinstehende und Arme mussten nach wie vor in einem Alten- oder Siechenheim unterkommen und die Versorgung war wie beschrieben schlecht! In Folge des Zweiten Weltkriegs stieg die Zahl der Pflegebedürftigen ohne einen stabilen familiären Hintergrund und die Kapazitäten für sie reichten bald nicht mehr aus. Die Heime suchten dringend neue Mitarbeiterinnen, denn die Pflegearbeit war nach wie vor ein reiner Frauenberuf. Schließlich waren – nach damaliger Ansicht – Frauen durch ihre „weiblichen Eigenschaften“ prädestiniert dafür, auch ohne Ausbildung alte Menschen zu pflegen.

Entgegen der Entwicklung in der Krankenpflege, die immer auch ein Stück an die Entwicklung in der Medizin gekoppelt war, hatten pflegebedürftige alte Menschen kaum eine fachlich kompetente Pflege und waren in den Siechenhäusern immer noch von der Nächstenliebe und Barmherzigkeit ihrer Helfer abhängig. Das sollte sich Mitte des 20. Jahrhunderts ändern.

Als verantwortungsvolle Mitarbeiter merkten, dass es nicht ausreichte, einfach nur Gutes tun zu wollen, begann man mit einrichtungsinternen Schulungen. Da die Zahl der Heime immer weiter zunahm, wurde auch der Bedarf an Mitarbeitern mehr, und es etablierten sich die ersten Ausbildungsstätten, um den drängenden Problemen entgegenzuwirken. Eine offizielle, klar geregelte Ausbildung zum*r Altenpfleger*in gab es aber noch nicht. Diese entstand erst Ende der 1960er-Jahre. Am 10. Juli 1969 trat die bundesweit erste staatliche Ausbildungsordnung in der Altenpflege in Kraft. Mit dieser Ordnung definierten sich erstmalig Dauer, Inhalte und Ziele der Ausbildung. Schon bald gab es sie in allen Bundesländern und dann gründete sich auch der erste deutsche Berufsverband der Altenpfleger*innen (DBVA) im Jahr 1974.

Der Ausbildungsgang entwickelte sich schnell weiter und wurde mehrmals inhaltlich erweitert und zeitlich verlängert – in den 1980ern zunächst auf zwei, erst durch das Altenpflegegesetz vom 17. November 2000 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 2003 auf drei Jahre festgesetzt und bundeseinheitlich geregelt. Rechtlich wurde er damit dann auch zu den „anderen“ Heilberufen gezählt.

Gesetze regeln die Pflege

Mit den Regeln für eine fachliche Ausbildung entwickelten sich parallel Gesetze zum Betrieb von Altenheimen. Das erste war das „Gesetz über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige“ (Heimgesetz – HeimG), das am 01.01.1975 in Kraft trat. Es ging darum, ein Aufsichtsorgan zu etablieren, die Heimaufsicht, aber auch Voraussetzungen für den Betrieb eines Heims, die Qualifikation der Leitung und ein Mitspracherecht für die Bewohner festzulegen.

Am 1.1.1995 trat dann das Pflegeversicherungsgesetz in Kraft. Der Titel im Bundesanzeiger heißt: Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit“. So wichtig wie dieses Gesetz war und ist, genauso deutlich muss man auch sagen, dass es lediglich eine Teilkaskoversicherung ist. Durch Festbeträge für einzelne Leistungen, bleiben immer noch Kostenanteile für die Betroffenen, die dann entweder aus eigenen Mitteln oder auch durch den Sozialhilfeträger finanziert werden müssen, wenn das eigene Geld nicht ausreicht.

Alle drei Punkte, die Pflegeversicherung, die entsprechenden Kontrollen der zu erbringenden Leistungen und die Ausbildung für Pflegekräfte, waren wichtige Schritte zu einer guten Versorgung der Senior*innen, die Hilfe und Pflege benötigen. Die staatliche „Fürsorge“ entwickelte sich allerdings in den über fünfzig Jahren bis heute zu einem gesetzlichen Moloch, der den Blick für die Notwendigkeiten, Bedürfnisse und Wünsche dieser Menschen vielfach in den Hintergrund drängt.

Allein für die Pflegeversicherung gibt es in den dreißig Jahren ihrer Existenz über 30 Gesetze, ergänzt um Dutzende von Verordnungen, die die Kosten, die Leistungen und die Qualität im ambulanten wie dem stationären Bereich immer wieder verändern und neu reglementieren. Dabei geht es nicht nur um die Finanzen, wie den Leistungsumfang oder die Beiträge, sondern auch um die sich ständig ausweitenden Qualitätskontrollen. Grundlage ist die Verschriftlichung aller erbrachten Leistungen, denen eine detaillierte Planung vorausgehen muss. Wichtige Leistungsbereiche werden mittlerweile in sogenannten Expertenstandards beschrieben und sollen Maßstab für das Handeln der Pflegekräfte im Pflegealltag sein. Alle erbrachten Leistungen sind dann zu dokumentieren, um die Ergebnisse überprüfbar zu machen. Heimgesetz, Heimpersonalverordnung, Heimmitwirkungsverordnung, das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, sind weitere Gesetze, die sicherlich gut gemeint sind, aber in ihrer Komplexität kaum überschaubar. Dieser Gesetzes-Dschungel frisst einen großen Teil der den Mitarbeitern zur Verfügung stehenden Zeit für die Administration, die dann für die Menschen nicht mehr zur Verfügung steht.

Die Qualität der Altenpflege hat sich in Ergänzung wissenschaftlicher Expertisen sehr positiv entwickelt, die sehr engen Personalschlüssel und die beschriebene umfangreiche Administration, sind die eigentliche Ursache dafür, dass die Pflegekräfte eine individuelle und menschenwürdige Pflege kaum umsetzen können. Im Ergebnis haben die beschriebenen Bedingungen dazu geführt, dass Unterbesetzungen, hohe Krankenstände und damit verbunden eine entsprechende Fluktuation dazu geführt haben, dass viele Mitarbeiter ausgebrannt sind und sich das über die Jahre hinweg zu einem massiven Fachkräftemangel entwickelt hat. Eine Wende wird sehr schwierig, mehr Personal bedeutet mehr Kosten, höhere Kosten in der Pflege haben höhere Beiträge der Pflegeversicherung zur Folge oder die Kommunen müssen mehr Sozialhilfe finanzieren. Ein Teufelskreis, der kaum zu durchbrechen ist. Qualität hat ihren Preis, und es ist zu befürchten, dass die Schere sich weiter öffnet. Noch sind die Gesetze eine Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit, aber eine sehr fragile.

Fazit

Schauen wir auf die Realität: Noch nie in der nachvollziehbaren Geschichte dieser Erde sind so viele Menschen so alt geworden wie im 20. und 21. Jahrhundert, das heißt, das Durchschnittsalter hat dank der Medizin und der gesellschaftlichen Bedingungen heute eine Höhe erreicht, die nach der Berufstätigkeit einen angenehmen Lebensabend ermöglicht. Hobbys, Reisen, ehrenamtliche Tätigkeiten geben dem Alter Sinn und machen es zu einem erfüllten letzten Lebensabschnitt.

Wenn wir allerdings nach vorne schauen, ist festzustellen, dass unsere Gesellschaft überaltert. Der Anteil der über 65-Jährigen stieg von 15% im Jahr 1999 auf 22,1% im Jahr 2021 und er steigt weiter. Allein die Zahl der Menschen ab 80 wird sich bis zum Jahr 2050 von 6 Millionen auf 8,4 bis 9,9 Millionen erhöhen (Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes 2023). Geringe Geburtenraten und damit ein immer weiter ansteigender Anteil der Alten stellt uns also vor zunehmende Herausforderungen. Die Versorgung gebrechlicher, pflegebedürftiger Seniorinnen und Senioren zeigt schon heute erste Lücken. Ca. 80% der 5 Millionen Pflegebedürftigen in diesem Land, das sind fast 4 Millionen, werden aktuell zu Hause versorgt, davon etwa 1 Million mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste. Das heißt, mehr als die Hälfte aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland wird ausschließlich von Familienangehörigen versorgt. Wird das in Zukunft weiter so sein? Gleichzeitig benötigen wir für mehr als 1,8 Millionen (weiter ansteigend) Pflegebedürftige das entsprechende Fachpersonal, das heute schon fehlt.

Ein anderer Aspekt darf nicht unterschätzt werden: die Haltung der jüngeren Generation den Alten gegenüber bekommt die ersten Risse. Die Diskussionen, dass die junge Generation eines Tages den angehäuften Schuldenberg bezahlen muss, oder der Generationenvertrag der Rente schon seit Jahren kippt, führt zu Spannungen zwischen Jung und Alt, deren Auswirkungen wir noch nicht wirklich spüren.

Es spielt keine Rolle, ob es ein zyklisches Modell der Abfolge positiver und negativer Einstellungen zum Alter gibt oder die Gleichzeitigkeit beider Pole das Maß ist. Es gilt, die Frage zu beantworten: In welchem Stadium befinden wir uns gegenwärtig und wie können wir den sich verändernden Verhältnissen in der Zukunft begegnen? Die Einstellungen zum Alter können schnell kippen, wenn die Übermacht der alten Menschen in Politik und Gesellschaft die finanziellen und gesellschaftspolitischen Bedingungen der jüngeren Generation überfordern. Die Fragen: „Wer tilgt eigentlich die hohe Staatsverschuldung?“ oder „Wer bezahlt die Renten der Babyboomer in Zukunft?“ sind schon jetzt dazu geeignet, das Gleichgewicht ins Wanken zu bringen.
Bei den ersten Seniorinnen und Senioren entstehen diesbezüglich schon Ängste, sie empfinden einen zunehmenden Druck und eine Belastung, die dazu führt, dass sie sich überflüssig fühlen und an der Entwicklung schuld sein. Abwegig? Pessimistisch? Der Theologe und Soziologe Reimer Gronemeyer spricht von der aktuellen „Modernisierung des Senizids“. „Der sanfte, aber deutlich zunehmende Druck auf Selbstbeseitigung dürfte mit den kommenden ökonomischen und sozialen Krisen steigen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Senizid) Es ist eine sensible Zeit. Die Überalterung unserer Gesellschaft fordert uns heraus. Alle sozialen Errungenschaften, die von der Krankenversicherung über die Rentenversicherungen bis zur Pflegeversicherung reichen, stehen finanziell auf dem Prüfstand und die Versorgung gebrechlicher, pflegebedürftiger Menschen ist fragil und wird auch durch politischen Aktivismus nicht zu lösen sein. Die aktuellen Bemühungen des Gesundheitsministers und er ist der erste Minister, der das erkannt hat und ausspricht, sind ehrenwert, aber er wird die Versäumnisse der letzten zwanzig / dreißig Jahre nicht aufholen können. Wir Alten müssen auch selber aktiv werden, es gibt gute Bemühungen, die den Weg zeigen: Wohngemeinschaften, Mehrgenerationenhäuser, niedrigschwellige Angebote im Gemeinwesen, IT-Netzwerke und andere. Alter ist kein Privileg, Alter ist eine Verantwortung und die Herausforderung, der Realität ins Auge zu sehen, um die Generationengerechtigkeit nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen!

(1) Mitterauer, M. (1982). Problemfelder einer Sozialgeschichte des Alters. In H. Konrad (Hrsg.),

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Für hilfe- und pflegebedürftige Senioren rast eine massive Versorgungskrise auf uns zu!

Das Problem einer guten, ausreichenden Versorgung hilfs- und pflegebedürftiger Senioren ist schon jetzt vor Ort angekommen! Als Mitglied des Seniorenbeirats in Dorsten werde ich täglich damit konfrontiert. Seit Jahren bieten wir in dieser Stadt durch ehrenamtliche Mitarbeiter Hilfen in den verschiedensten Bereichen an. Wir unterstützen die Seniorinnen und Senioren z.B. bei Fahrten zum Arzt oder bei Einkäufen, machen Hausbesuche, helfen bei Behördenfragen oder technischen und handwerklichen Problemen im Haushalt.

Leider müssen wir erleben, wie sich in zunehmendem Masse eine Schere zwischen den an uns gerichteten Hilfsanfragen und unseren Möglichkeiten diese Anfragen zu bedienen auftut. Den Seniorenbeirat erreichen im verstärkten Maße Anfragen von alleinstehenden und hilfsbedürftigen Menschen, im Gegenzug fehlen Helfer, die bereit sind, bei diesen ehrenamtlichen Tätigkeiten mitzuwirken. Die Rückmeldungen professioneller Anbieter von caritativen wie privaten Trägern bestätigen, dass das Personal fehlt und die finanziellen Möglichkeiten aus öffentlichen Töpfen einen großen Teil notwendiger Hilfen nicht abdecken.

Der Seniorenbeirat ist sehr besorgt, dass eine ausreichende, individuelle und fachlich fundierte Versorgung seiner altersgleichen Mitbürger im ambulanten wie im stationären Bereich immer weniger sicher gestellt werden kann, die Vereinsamung weiter zunimmt und Menschen auf der Strecke bleiben, die nicht die Kraft und die Möglichkeiten haben, für ihre täglichen Bedürfnisse zu sorgen.

Gleichzeitig nimmt die Überalterung unserer Gesellschaft seit Jahrzehnten, wie von Wissenschaftlern und Statistikern prognostiziert, weiter zu.

ZITAT: „Die Zahl der Menschen ab 80 Jahren wird noch bis etwa 2030 bei rund 6 Millionen liegen. Ab Anfang der 2030er-Jahre wird sie dann für etwa 20 Jahre kontinuierlich zunehmen und im Jahr 2050 je nach der angenommenen Entwicklung der Lebenserwartung auf 8,4 Millionen bis 9,9 Millionen wachsen.“                      

(Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsvorausberechnung/begleitheft)    Varianten und Modellrechnungen der 15. koordinierten Bevölkerungs-vorausberechnung. Die 15. koordinierte Bevölkerungs-vorausberechnung beruht auf dem Bevölkerungsstand am 31.12.2021. Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2023 

Zusätzlich zu dem sich seit Jahren entwickelten Pflegenotstand steigt der Anteil der Hochaltrigen ab Ende der 20er-Jahre überproportional, und dieser Tatsache ist die Politik über alle Parteien hinweg in den letzten mehr als 20 Jahren nicht gerecht geworden, d. h. die entsprechenden Gesetze und die dafür zur Verfügung stehenden Mittel stehen in einem eklatanten Widerspruch zur Realität.

Die Zahlen fehlender Pflegekräfte werden seit Jahren von den Medien angeprangert und es ist von nachgeordneter Bedeutung, wie viele es nun genau sind. Die Tatsache, dass in ambulanten Pflegediensten und in Pflegeeinrichtung eine große Anzahl von Stellen nicht besetzt werden können, bedeutet das die vorhanden Mitarbeiter für die nicht vorhanden Mitarbeiter die Arbeit mitmachen müssen, was natürlich nicht gelingt. Ambulante Dienste nehmen nur noch begrenzt neue Kunden an und Pflegeeinrichtungen können vielfach keine Bewohner neu aufnehmen, da ihnen das Personal fehlt. Die ersten Träger sind aufgrund dieser Tatsache bereits insolvent. Der Teufelskreis setzt sich weiter fort, das vorhandene Personal brennt aufgrund der Überbelastungen mehr und mehr aus und die Krise droht zu einer Katastrophe zu werden. 

Das heißt, die professionellen Angebote werden den Bedarf nicht decken können, sodass die Hilfen vor Ort die sogenannten niedrigschwelligen Angebote immer mehr an Bedeutung gewinnen, gleichzeitig wächst der Bedarf noch durch die steigenden Zahlen hochaltriger Mitbürger.

Dieser Teufelskreis, der sich in all den Jahren entwickelt hat, aber nicht durchbrochen wurde, hat dazu geführt, dass die beschriebenen Konsequenzen tagtäglich vor Ort in den Städten, Gemeinden und Kreisen wie auch in Dorsten bei den Menschen sichtbar werden. 

Wir alle stehen machtlos vor der Tatsache, dass wir den Hilfebedarf sehen, aber nur sehr punktuell und in viel zu wenigen Einzelfällen unterstützen und helfen können und wir auf eine massive Unterversorgung zusteuern, wenn wir, die Senioren, nicht gemeinsam den Schulterschluss suchen und uns mit ehrenamtlichem Engagement auf den Weg machen.

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Nur ein Einzelfall?

Eine selbstbewußte und willensstarke blinde Dame, konnte mit Unterstützung noch bis zu ihrem 92. Lebensjahr im eigenen Haus leben, musste dann aber wegen ihres schlechten Allgemeinzustandes ins Krankenhaus. Dort schrie sie immer wieder lautstark um Hilfe, war sehr unruhig und lies nicht mit sich reden. Der Oberärztin war schnell klar, sie muss entmündigt und in eine Geriatrie eingewiesen werden, dafür stellte sie bei Gericht einen Eilantrag. Ein Bekannter der Dame wurde auf die Situation aufmerksam und lies sich von der Seniorin eine Einwilligung unterschreiben, für sie handeln zu dürfen. Er telefonierte mit der Richterin und schlug vor, dass er sich schnellstens um einen Kurzzeitpflegeplatz bemühen würde, um dann in Ruhe über eine Betreuung entscheiden zu können. 

Es klappte alles, noch während sie in der Kurzzeitpflege war wurde eine Betreuung eingerichtet und auf Wunsch der Seniorin, mit der man über ihre Situation gut reden konnte, wurde eine Pflegeeinrichtung gefunden in der sie seitdem lebt. Kurz nach der Aufnahme im Heim konnten nach Rücksprache des Betreuers mit dem Arzt die noch verabreichten bewusstseins einschränkenden Medikamente abgesetzt werden. Bei zwei Augenoperation erhielt die Seniorin neue Linsen eingesetzt und kann nach vielen Jahren wieder sehen und sogar größer geschriebene Texte lesen. Sie nahm an den unterschiedlichen Angeboten im Heim teil, verfolgte im Fernsehen die Nachrichten, telefoniert selbständig und die massiven Besuchseinschränkungen durch Corona konnten ihr den Lebensmut nicht nehmen. Sie bekam ein Hörgerät und witzelte bei den Mitbewohnern: „Sie können ruhig weiter über mich lästern, ich kann sie jetzt alle verstehen“.

Nach eineinhalb Jahren im Heim stürzte sie trotz Begleitung einer Pflegekraft beim Waschen am Waschbecken und zog sich mehrere Brüche an den Beinen zu. Nach drei Operationen incl. Vollnarkosen und einem zehntägigen Aufenthalt im Krankenhaus wurde sie entlassen und war bettlägerig. Als sie sich beim Essen verschluckte, wurde sie erneut ins Krankenhaus eingewiesen, dort traten die Hilfeschreie wieder auf, sie wurde unruhig und es wurden wieder sedierende Medikamente eingesetzt. Nach der Entlassung war der Blasenkatheter vom Krankenhaus eine willkommene Hilfe im Heim, das Aufwändige Wechseln des Inkontinenzmaterials zu umgehen.

Der engagierte Betreuer sprach mit Ärzten, Pflegekräften und der Wohnbereichsleitung, um die Verabreichung von Benzodiazepinen und Neuroleptika abzusetzen und den Katheder gegen Inko-Material auszutauschen. Er ging davon aus, für die Dame damit ein menschenwürdiges und ihren Bedürfnissen und Wünschen angemessenes Leben zu erreichen. Die im Heim akkreditierten Ärzte orientierten sich aber primäre an den Vorgaben und Aussagen von Mitarbeiter*innen, die die Notwendigkeit sahen, die Medikamentierung und den Katheder so beizubehalten. Nach vielen Gesprächen im Haus und mit externen Ärzten wurde schließlich der Katheder gezogen und die Medikamente abgesetzt. Die Bewohnerin lebte wieder auf und lässt sich sogar auch ein Stück weit mobilisieren, ihre Kommunikation ist viel positiver und sie hat Lebensmut. Der Betreuer nimmt seine Aufgabe mit grossem persönlichem Einsatz sehr ernst und erreicht für die mittlerweile 95-jährige Frau Lebensfreude. Im Haus ist er allerdings bei einigen Mitarbeitern zum roten Tuch geworden, weil er sie erstens „kritisiert“ hat und zweitens mit seiner Sicht der Dringe eine positive Wende herbeiführen konnte.

Fazit: Der Mensch muss funktionieren, ob Mitarbeiter*innen oder Pflegebedürftige. Es geht um Zeit und Geld und beides fehlt für ein menschenwürdiges Handeln am und mit den Menschen. Wenn verantwortungsvolle Angehörige oder Freunde und Betreuer da sind, sich einmischen und Zeit opfern, dann können sie die Arbeit positiv unterstützen, ja sogar schwierigen Entwicklungen eine neue Richtung geben. Was passiert aber mit denen, die keinen Menschen sonst haben, wo keiner von Aussen mit den Mitarbeitern gemeinsam mal über den Tellerrand schaut.

In diesem Fall wäre die Dame nach ärztlichem Gutachten und durch richterlichen Beschluss in eine Geriatrie eingewiesen worden und dort bettlägerig, sediert, mit Katheder und Magensonde versorgt, „gut“ gepflegt worden. Das System muss funktionieren, darf nicht zu viel kosten und braucht schnelle „Lösungen“. Fehlendes Personal, Hilfskräfte die Fachkräfte ersetzen, möglichst keine zwischenmenschlichen Probleme, Time ist Money, das ist die Realität und daran ändern auch die wenigen positiven Häuser nichts, die übrigens auch unter dem gleichen Druck stehen. 

In unserer heutigen Pflegerealität wird viel zu oft aus Kontinenzförderung ein Katheter, aus einem beruhigenden Gespräch ein sedierendes Medikament, aus einem mehrfachen Wechsel des Inkontinenz-Materials eine Windelhose mit 4 Liter Fassungsvermögen. 

Pflege braucht keine Politischen Versprechungen von 12.000 oder 20.000 zusätzlichen Stellen, von denen jeder weiss, das es die nicht gibt, Pflege braucht eine grundlegende Reform. Wer weiss schon, dass es vor dem Pflegeversicherungsgesetz bis 1995 einmal kostendeckende Pflegesätze mit auskömmlichen Personalschlüsseln gab.

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Der Pflegenotstand darf nicht in der Versenkung verschwinden!

Hörbare Proteste, Aufregung in den Medien, einzelne engagierte Kämpfer, aber was bleibt? Herr Spahn hat verstanden und hat sich schnell anderen, für ihn populäreren Themen zugewandt. Im Augenblick treibt er die Sau „Wissenschaftliche Studie über die seelischen Folgen nach Schwangerschaftsabbruch“ durchs Dorf. Können Politiker das Problem PFLEGE endlich mal so anpacken, dass zum Schluss eine wirkliche Verbesserung dabei herauskommt?! Pflege und ganz besonders die Altenpflege, hat sich seit dem Pflegeversicherungsgesetz von 1995 nicht mehr um den Pflegebedürftigen Menschen bemüht! Es ging um Geld, Kontrolle, Markt, natürlich mit der Argumentationen, es ginge um den Menschen. Pflegestufen, Pflegegrade, MDK Prüfungen, Einstufungspraxis, gedeckelt Pflegesätze mit pauschalen Steigerungen, steigende Eigenanteile, unbezahlte Behandlungspflege; die Reihe der Begriffe ist fast unendlich, die zum Ausdruck bringen, dass es letztendlich immer nur darum ging, die Kosten für die Pflege zu deckeln. Der Pflegemarkt der Privaten Anbieter hat die Politik darin bestätigt, das es funktioniert. In der Zwischenzeit aber haben sich viele Fachkräfte aus Erschöpfung aus dem Arbeitsfeld verabschiedet und junge Menschen überlegen es sich dreimal, ob sie diesen Beruf noch ergreifen sollen. Konsequenz, es fehlen in allen Bereichen der Pflege die Fachkräfte. Politiker starten eine Ausbildungsoffensive, basteln schnell ein Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, versprechen ein paar Millionen, klopfen sich auf die Schulter und sind mit sich zufrieden.

In der Fachwelt der Pflege wird nun endlich der Ruf nach einem gemeinsamen, politisch wirksamen Auftreten laut. Pflegekammern werden gegründet, das Für und Wider dieser Kammern löst die ersten Konflikte aus (Niedersachsen). Ein Machtkampf zwischen Pflegekammern und Gewerkschaften steht im Raum und die Zeit geht dahin. Der Ruf nach wirklichen Lösungen wird leiser und leiser, die Probleme bleiben aber und Politiker wenden sich populäreren Themen zu. Eine Statistik besagt, das die offenen Stellen in der Pflege weniger geworden sein sollen, also ist es doch vielleicht alles nicht so schlimm und es wird eben doch Nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. FALSCH! Überforderte Mitarbeiter, zwölf Tage Dienst am Stück, einspringen, weil wieder zwei Kollegen*innen krank sind und fünf offene Stellen überhaupt nicht besetzt (nur ein Beispiel von viel zu vielen). Die massive Unterversorgung abhängiger, hilfloser, pflegebedürftiger, dementer alter Menschen bleibt und damit die täglich sich wiederholenden Verbrechen an der Menschlichkeit! Der Pflegenotstand ist und bleibt eine Gesamtgesellschaftliches Problem und darf nicht hinter andere Probleme zurücktreten, er braucht jetzt Lösungen.

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Wer durchbricht den Circulus Vitiosus in der Pflege?

Mit dem CARE Klima-Index, der jetzt vorgestellt wurde, wird schwarz auf weiß deutlich, die Stimmung in der Pflege verschlechtert sich weiter, „während 2017 bereits 51 % der Befragten die Bedingungen als „schlecht“ beurteilten, stieg dieser Wert im Jahr 2018 auf 60 %, 71 % der Befragten gehen davon aus, dass die personelle Ausstattung der gegenwärtigen Situation nicht gerecht wird“ und so kann man die Reihe der Ergebnisse fortsetzen.( https://deutscher-pflegetag.de/presse/pressemitteilungen/die-stimmung-der-pflege-wird-frostiger )

Der Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner, sagt in einem Statement zu den Resultaten der Befragung: „Besorgniserregend sind die Ergebnisse des Care Klima Index bezüglich der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit. Sie bestätigen unsere langjährigen Warnhinweise. Wir erreichen mit den vorhandenen Ressourcen und Strukturen offensichtlich mittelmäßige bis schlechte Qualität in der Wahrnehmung der Befragten. Der Ansatz, Effizienzsteigerung und Kostendämpfung durch Wettbewerb zu erreichen, hat das Gegenteil erreicht.“

Die „Warnhinweise“ haben also nichts bewirkt und Wagner nimmt die Politik, aber auch die Selbstverwaltungsorgane, die Arbeitgeber, die Führungskräfte und die Berufsgruppen in die Verantwortung, das ist richtig. Zu der untersten Gruppe der Handelnden in der Verantwortungspyramide sagt er: „In der Berufsgruppe (Pflegekräfte) müssen wir vor Ort deutlich machen, wenn Missstände herrschen und für eine Verbesserung eintreten.“ Den Mut dazu dürfen wir uns wünschen, aber das schwächste Glied in der Kette, die abhängigen Mitarbeiter, die, die seit Jahren den ganzen Druck einer falschen Politik, autoritärer Träger und Führungskräfte und einer sich über Jahre hin entwickelten Mangelwirtschaft ausbaden müssen, sollen jetzt das Lenkrad rumreißen? 

Der Fisch stinkt vom Kopf, das ist allseits bekannt, also muss eine Kehrtwende auch von dort kommen. Politik ist in der Verantwortung, dort muss der Teufelskreis durchbrochen werden, das ganze Gesundheitssystem muss auf den Prüfstand, das Pflegeversicherungsgesetz mit all seinen Folge-Reparaturen muss sich zukünftig an einer wertschätzenden Pflege ausrichten, Leistung und gute Pflege muss sich wieder lohnen und Gesetze und Finanzmittel haben ausschließlich den Menschen zu dienen und nicht renditewütigen Investoren. Pflege ist die gesellschaftliche Herausforderung der Zukunft und kein Karrieresprungbrett für profilierungssüchtige Minister. Wir brauchen mutige Politiker, die den Stier bei den Hörnern fassen, auch auf die Gefahr hin, nicht wieder gewählt zu werden, alles andere ist Mainstream Geplapper, ohne durchschlagende Wirkung.

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Aus der Pflege-Not eine Pflege-Tugend machen!

„Pflege ist in aller Munde, weil es eine Notsituation gibt,“ sagte jetzt eine Funktionärin in einem Interview. Werden wir eigentlich auf Probleme erst aufmerksam, wenn es lichterloh brennt? Gut, dass die Probleme der Pflege z.Zt. thematisiert werden, aber gibt es eine wirklich Chance, denn für den massiven Fachkräftemangel sind verschiedene Auslöser verantwortlich, die sich über die letzten Jahrzehnt immer weiter potenziert haben! Seit den neunziger Jahren werden die Probleme in der Fachwelt thematisiert. Mitarbeiter für eine verantwortungsvolle und vielschichtige Aufgabe, wie die Pflege zu gewinnen, ist eigentlich nicht schwer, wenn sie mit ihrer fachlichen Kompetenz in Verantwortungen eingebunden werden, wenn man sie dementsprechend vernünftig bezahlt, wenn sie ausreichende Zeit haben, um die Aufgaben menschenwürdig zu erledigen, wenn sie Vorgesetzte haben die sie fördern, wenn sie in einem Team arbeiten, in dem das Miteinander und nicht das Gegeneinander das Maß ist, und, und, und. 

Die Frage ist jetzt aber, ist die Pflege noch zu retten? Die gesetzlichen und finanziellen Bedingen in der Pflege haben dazu geführt, dass viele Führungskräfte, um ihre Betriebe funktionsfähig zu erhalten (beide Begriffe sind bewusst gewählt, denn bei vielen Trägern geht es schon lange nicht mehr um Lebensräume und ein menschenwürdiges Miteinander), den ganzen Druck in ihre Systeme hinein gepresst und an die Mitarbeiter weitergegeben haben und wir wundern uns heute, dass die Fachkräfte fehlen!

Politik wird mit Sicherheit jetzt nicht den großen Wurf starten, denn über Jahre haben die jeweiligen Minister nur Retuschen vorgenommen und all die vielen Gesetze, die als Lösung propagiert wurden, wie z.B. das Mitarbeiterstärkungsgesetzt und das Pflegestärkungsgesetz hören sich zwar toll an, aber sie werden einen Rückwärtsgang nicht in einen Vorwärtsgang verwandeln, falsche Richtung bleibt falsche Richtung. Deshalb bleibt nur eins: „Hilf dir selbst.“ Machen sie aus ihrer Einrichtung, aus ihrem Träger, einen Vorreiter fachkompetenter, menschwürdiger Altenpflege, bezahlen sie gut, stellen sie die Mitarbeiter ihres Unternehmens in den Mittelpunkt, erkämpfen sie kostendeckende Pflegesätze, bei Pflegekassen und Sozialhilfeträgern, machen sie aus der Not eine Tugend. Wenn sie Hilfe brauchen, melden sie sich, denn der Blick nach Vorne ist der einzig richtige.

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Pflege braucht keine Placebos, sie braucht jetzt gute, wirksame Medizin.

Es ist nur noch traurig, was sich in und um das Thema Pflege 2018 in diesem Lande abgespielt hat.

  • Pflegebedürftige Menschen, die weiterhin aus Zeit- und Fachkräftemangel massiv unterversorgt sind.
  • Viele ausgebrannte Mitarbeiter, die oftmals nur noch ihr schlechtes Gewissen den Menschen gegenüber zur Arbeit treibt.
  • Ein Minister, dessen wichtigstes Ziel es ist, gesehen zu werden, Schlagzeilen zu produzieren und sich als Macher zu profilieren. (Wie steht es nach einem halben Jahr um die „Konzertierte Aktion Pflege“ Herr Spahn?) 
  • Gesetze zur angeblichen Verbesserung der Pflegesituation, die viel Verwaltungsaufwand provozieren, aber faktisch keine positive Wende einleiten. ( 13.000 zusätzliche Stellen, wenn 36.000 offene nicht mal besetzt werden können, das nennt man ein Placebo)
  • Engagierte Mitarbeiter, die versuchen über eine neue Interessenorganisation (Pflegekammern) Einfluss auf die Politik zu nehmen, aber in Wirklichkeit keine Chance dazu haben.
  • Private Trägergruppen, die mit ihren Lobbyverbänden auf die Politik Einfluss nehmen, aber nur um ihre Renditepfründe in der Pflege nicht zu gefährden.
  • Eine Gesundheitspolitik, die seit Jahrzehnten nicht bereit ist, Altenpflege angemessen zu finanzieren, große Kostenanteile auf die Betroffenen abwälzt, sich auf Landes- und Bundesebenen zwei Kontrollinstanzen leistet (MDK und Heimaufsicht), aber nicht in der Lage ist, die gute Pflege von schlechter zu selektieren, heißt, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Es ist wirklich nur noch erbärmlich, wie wenig Orientierung am Menschen das Maß des Handelns in der Politik bestimmt. Schöne Worte, exzellent ausformulierte Versprechen, die bei genauerem Hinsehen mehr Wunschtraum als real erreichbare Ziele sind, mit Formulierungen wie: „wir wollen, es sollte, wir werden suchen müssen, wir möchten, wir glauben.“ Glauben heißt nicht wissen. Politiker propagieren schnelle und scheinbar einfache Lösungen, weil sie sich an die schwierigen Problemen nicht heran trauen. Sie haben Angst davor, dass die Wirtschaftsbosse wieder mit Arbeitsplatzverlusten drohen, sie wollen die schwarze Null nicht gefährden und die Menschen, ganz besonders die hilflosen und abhängigen, geraten dabei immer mehr ins Abseits.

Für 2019 sollte in der Gesundheitspolitik endlich die Einsicht vorherrschen, dass die Altenpflege eine ganzheitliche Reform braucht, die den Menschen die Sicherheit gibt, dass sie bei Pflegebedürftigkeit gut und fachkompetent versorgt werden, sie und ihre pflegenden Angehörigen nicht gesundheitlichen Schaden nehmen und in der Gefahr sind, in die Armut abzugleiten und Fachkräfte so bezahlt werden, das ihre Leistungen eine angemessene für alle gleiche Honorierung garantiert. Es gibt viel zu tun Herr Spahn, denn Pflege braucht keine Placebos, sie braucht endlich gute, wirksame Medizin.

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Widerspruch, Herr Fussek

Herr Fussek in FOCUS online: „Die Situation in der Pflegebranche ist fast schon aussichtslos“. Die Schuld an der Situation trage seiner Meinung nach allerdings nicht wie gern und schnell behauptet die Politik. Denn Politiker seien nicht für die Bezahlung von Pflegekräften verantwortlich – das sei eine reine Tarifsache. Und die Arbeitsbedingungen seien Aufgabe der Pflegeselbstverwaltung. „Versagt hat nicht die Politik. Versagt hat die Pflegeselbstverwaltung. Und wir alle.“, erklärt Fussek im Gespräch mit FOCUS Online. Und zwar, indem wir „kollektiv verdrängen“. Doch das könnten wir uns jetzt nicht mehr leisten: „Es ist nicht mehr 5 vor 12. Es ist längst 5 nach 12.“

Ich muss Herrn Fussek massiv widersprechen, es geht auch nicht um Schuld, sondern es geht um Ursache und Wirkung. Das Pflegeversicherungsgesetz von 1995 haben Politiker gemacht. Dieses Gesetz ist eine Teilkaskoversicherung, in der der Staat seinen Kostenanteil begrenz und damit  im Griff behalten kann, alle Kostensteigerungen auf die Pflegebedürftigen abwälzt, Kostenträger die Preise der Leistungserbringer bestimmen und der Staat über diese Kostenträger die Ergebnisse der Leistungen kontrolliert (MDK), die er nicht einmal ganz bezahlt. Gleichzeitig ist es ein Gesetz, in dem gute Leistungen bestraft (geringere Pflegestufe, weniger Geld) und nicht honoriert werden.

  • Mit dem Gesetzt wurde ein Pflegemarkt begründet, der die privaten, renditeorientierten Träger erst richtig auf dem Markt gerufen hat. Dieser Markt war politisch gewollte, um den Gemeinnützigen Trägern Konkurrenz zu machen, das Ergebnis sehen wir (Korian, Alloheim, etc.).
  • Mit der Föderalismusreform 2006 wurde ein einheitliches Heimgesetzt abgeschafft und damit 16 verschiedene Ländergesetze, mit 16 unterschiedlichen Personalschlüsseln provoziert. Konsequenz, eine fast undurchschaubare und sehr unterschiedliche Gesetzesvielfalt.
  • Die Pflegesatzverhandlungen werden nach § 85 SGB XI mit den Kostenträgern ( Pflegekassen, Trägern der Sozialhilfe) geführt, d.h. verhandelt wird mit Geldgebern, die ein unausgesprochenes Interesse daran haben, die Preise niedrig zu halten. Konsequenz, die Erträge laufen immer den Kosten hinterher, was viele Träger, die angstgesteuert agieren, zum sparen zwingt.
  • Die Umstellung der Pflegstufen auf die Pflegegrade war eine Schauveranstaltung, aus Pflegestufe 0, 1, 2, 3 und Härtegrad, wurden fünf Pflegegrade 1 bis 5. Es ging um die Einbeziehung Dementer Pflegebedürftiger (neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff), das ist gut, hat aber die Situation der Pflegeanbieter nur verschlechtert.

Die Selbstverwaltung der Träger funktioniert nicht, das stimmt, das war aber auch ein politischer Trick, denn die Politik kann sich nach Bedarf dahinter zurückziehen und sich aus der Verantwortung nehmen.

Ich nenne mich auch einen Pflegeexperten, denn ich habe über 23 Jahre Altenheime geleitet, Pflegesätze verhandelt, nach Tarif bezahlt, Ausbildung gefördert, Personalrekrutin betrieben, über Fachverbände politisch agiert und trotzdem war es in den meisten Fällen in unseren Einrichtungen personell zu knapp, um wirklich Zeit für die Menschen zu haben.

Ja, es ist 5 nach 12, aber Politik muss die Weichen stellen, damit Träger verantwortlich, zum Wohl der Pflegebedürftigen handeln können. Wer glaubt, das geht über die Solidarität der Träger, der hat nicht verstanden, dass es politisch gewollt war, die Pflege so kostengünstig wie nur möglich zu bekommen, und die Träger rennen jetzt dem Geld hinterher. Politik muss den Karren rumreißen, Gesetze ändern und tief in die Tasche greifen und Träger müssen wieder verstehen, dass sie für die Menschen „angetreten“ sind und dass das Geld nur das Mittel zum Zweck ist.

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Flickenteppich Pflege, bleibt Flickenteppich Pflege

Herr Spahn will sich als Macher profilieren. Er hat verstanden und er macht, aber was hat er verstanden und was macht er. Auf der Internetseite des BMG schreibt der Gesundheitsminister: „Wir halten Wort. Mit der Verabschiedung des Pflege-Sofortprogramms heute im Deutschen Bundestag lösen wir das Versprechen an alle Pflegekräfte in Deutschland ein, ihren Berufsalltag konkret zu verbessern. Ab dem 01.01.2019 können Krankenhäuser und stationäre Pflegeeinrichtungen neues Pflegepersonal einstellen. Denn wir stellen sicher, dass die Krankenkassen 13.000 Pflegestellen in der Altenpflege und jede zusätzliche Pflegestelle im Krankenhaus finanzieren.“ Man könnte sage: „Viel Lärm um Nichts“

  1. Fachkräfte, die es am Markt nicht gibt, kann man auch nicht zusätzlich einstellen.
  2. Gäbe es 13000 Fachkräfte, die man zusätzlich einstellen könnte, wären das für jeden Pflegebedürftigen Bewohner im Heim 4 bis 5 Minuten mehr Leistungen am Tag, das ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.
  3. Die Beitragserhöhung für die Pflegeversicherung soll bis 2022 stabil bleiben. Wenn Herr Spahn jetzt erst einmal das aktuelle Defizit in der Pfl.vers. von 2 bis 3 Milliarden Euro mit der Beitragserhöhung ab 1.1.19 stopfen muss, wie sollen dann Leistungsverbesserung in der Zukunft, wie ein einheitlicher Tarifvertrag Pflege, ein einheitlicher Stellenschlüssel, etc., finanziert werden.

Die Pflege in Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Flickenteppich, bei dem an allen Stellen der kalte Steinfußboden durchschaut. Sie wird nicht besser, indem jeder Gesundheitsminister wieder noch einen neuen Flicken draufklebt. Flickenteppich bleibt Flickenteppich, auch wenn der Gesundheitsminister das mit noch so markigen Worten versucht anders darzustellen. Pflege braucht eine grundlegende Reform und Neuausrichtung und die kostet Zeit, Kraft und mehr Geld, aber Herr Spahn möchte Kanzler werden und da steht ein solcher Aufwand im Weg.

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Pflege gehört nicht in die Hände von Renditejägern

„Alloheim wirbt auf seiner Homepage mit Bildern voller Behaglichkeit. Vor zehn Jahren war es noch ein Mittelständischer Betrieb mit 13 Häusern. Dann begann ein rasantes Wachstum“, berichtet die ARD Fernsehsendung Plusminus am 07.11.2018 in ihrem Beitrag „wie-investoren-mit-pflegeheimen-kasse-machen“.

 

Illustration: Jürgen Pankarz

Als Mehrheitseigner hatte Herr Mollik Alloheim 1973 gegründet und im Lauf der Jahre 13 gute Pflegeheime aufgebaut. Anfang 2000 hatte er sich bei einem Geschäft in Spanien verspekuliert. Den Verlust konnte das Unternehmen nicht auffangen und somit war ein Verkauf die einzige Option. Als Beteiligter eines Kaufinteressenten, ist mir bekannt, dass die Kaufsumme zum Schluss weit über dem von uns errechneten, noch wirtschaftlichen Kaufpreis lag. Gekauft hat zum Schluss ein englischer Private Equity Fond und zwar Star Capital, der kaufte weitere Einrichtungen dazu und verkaufte nach fünf Jahren das ganz Paket weiter an die Carlyle Group in Amerika, die eine Europäische Aktiengesellschaft aus Alloheim machte, weitere Einrichtungen dazukaufte und sie dann nach vier Jahren im Jahr 2017 für 1,1 Milliarden Euro an den Schwedischen Private Equity Investor Nordic Capital verkaufte. Die Überschrift bei allen Investoren ist immer die gleiche und heißt „WACHTSTUM und RENDITE“, die Arbeit vor Ort hat sich diesem Diktat zu unterwerfen. Der Mensch ist nur wichtig als zahlender Kunde, um ihn zu gewinnen, wird er vorher mit bunten Prospekten und schönen Versprechungen eingelullt, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben.

Alloheim ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass Pflege und Gesundheitsfür- und vorsorge nicht in die Hände von Fondgesellschaften oder anderen Investoren gehört, deren Ziel es ausschließlich ist, das ihnen anvertraute Kapital höchstverzinslich anzulegen, um die Anleger zu befriedigen. Die Argumente der Politiker, warum Private Anleger in diesem „Markt“ notwendig seien, sind immer die gleichen: 1. Dort würde es das ausreichend Kapitel geben um notwendige Investitionen in Neu- und Umbauten zu tätigen und 2. Privatwirtschaftliche Anbieter könnten möglicherweise besser wirtschaften, also mit Geld umgehen. Zu 1. Warum Investitionen mit 8 bis 14 % Rendite („Alloheim meldet im Jahr 2016 als operativen Gewinn 8,6 Prozent vom Umsatz. Der französische Konzern Korian, Marktführer in Deutschland, machte sogar 14,1 Prozent operativen Gewinn“, ARD plusminus) über Fonds finanziert günstiger sein sollen, als mit 3 bis 5% über Banken, erschließt sich einem logisch denken Mensch nicht. Zu 2. Große caritative Träger wie die Agaplesion gAG oder die Heimstiftung Stuttgart und auch andere beweisen längst, dass ein gutes Management eine qualitativ hochwertige Arbeit mit guten wirtschaftliche Ergebnisse zusammen bringen kann und die Gewinne auch noch im Unternehmen investiert. Nur die Politik lässt dem Markt freien Lauf und schützt Millionäre und Milliardäre eher als pflegebedürftige, abhängige und hilflose Menschen.

 

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