Pflege braucht den Wettbewerb um die beste Qualität

Den Pflegemarkt mehr regulieren oder den Kräften des Marktes freien Lauf lassen. Jens Spahn schreibt in seinem Gastbeitrag im Handelsblatt mit dem Titel  Wettbewerb in der Pflege ist kein Selbstzweck“ gegen die Vorwürfe des Privaten Pflegemarkts an, dass die Bundesregierung diesen Markt zu stark regulieren wolle. Kann Pflege überhaupt ein Markt sein? Ein Argument von Herrn Spahn „Pflegebedürftige sind nicht mit normalen Kunden zu vergleichen“, stimmt.

Ist der pflegebedürftige, möglicherweise demente, abhängige Mensch im marktwirtschaftlichen Sinne überhaupt ein Kunde? NEIN, der Begriff Kunde suggeriert zwar eine gewisse Unabhängigkeit zur freien Wahl am Markt, aber das trifft in der akuten Situation einer solchen Notlage nicht zu. Außerdem ist ein zweiter Aspekt für ein marktwirtschaftlich orientiertes Verhältnis von Kunde zu Dienstleister nicht gegeben. In die Beziehung zwischen Kunden (Pflegebedürftigem) und Leistungsanbieter (Pflegeheim, Ambulanter Dienst) gehört als dritter „Partner“ auch die Pflegekasse, sie hat mit dem Anbieter der Dienstleistung, unabhängig welche Verabredungen der Pflegebedürftige mit dem Pflegeheim trifft, einen sogenannten Versorgungsvertrag, er regelt das Leistungsangebot, das die Pflegekasse für seine Versicherten mit den verschiedenen Leistungsanbietern vertraglich festlegt. Darüber hinaus hat der Pflegebedürftige auch keinen Einfluss auf den Preis, denn der wird unabhängig zwischen der Pflegeinrichtung auf der einen Seite und den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern auf der anderen Seite abgeschlossen. Dazu schreibt Herr Spahn „In diesem Markt stehen die Betreiber von Pflegeheimen mit den Kostenträgern, also den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern, in Vergütungsverhandlungen. Es werden bindende Preisvereinbarungen getroffen, die einerseits Wagnis und Gewinn angemessen berücksichtigen sollen, die aber doch vor allem am Versorgungsaufwand und an der Einhaltung der Qualitätsanforderungen orientiert sind“. Diese Verhandlungen sind in der Realität eher ein Diktat. Die Macht der Pflege-Kassen und Sozialhilfeträger lässt eine gleichberechtigte Verhandlung nicht zu, in der ein Träger z.B. sagen könnte: „zu dem Preis kann ich die von ihnen festgelegten Qualitätskriterien nicht liefern“, das kann er zwar theoretisch, dann würde er aber Monate klagen müssen, ohne das notwendige Entgelt für seine Leistungen zu bekommen. Darüber hinaus berücksichtigen die Preise, die die Träger „verhandeln“, weder ein mögliches Wagnis noch Gewinne, wie Herr Spahn schreibt, weil es bei diesen sogenannten Verhandlungen immer auch um die Vergleichbarkeit der Preise mit umliegenden Anbietern geht und dadurch solche Gespräche eher einen Pferdemarkt Charakter haben, als eine wirkliche Verhandlung sind. Es gibt also kein marktwirtschaftliches Kunden – Leistungsanbieter Verhältnis, da die Leistungen und Preise fremdbestimmt sind und der „Kunde“ keinen Einfluss mehr aus sie hat. Er steht zwischen den Vertragspartnern Pflegeanbieter, Pflegekasse als Hilfesuchender und muss sich entscheiden, welches „Übel“ er nun wählt.

Weiter schreibt Herr Spahn in seinem Beitrag: „In der Pflege sind auch private Betreiber tätig und sollen es auch unbedingt sein. Denn eine Vielfalt, ein Wettbewerb der Anbieter, liegt im Interesse der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen“. Worin soll bei einem solchen Wettbewerb das Interesse der Betroffenen bzw. Angehörigen bestehen? Wettbewerb kann sich doch nur dadurch entwickeln, indem verschiedene Anbieter eine vergleichbare Leistung zu unterschiedlichen Bedingungen oder Preisen anbieten, oder ein gleicher Preis verschiedene Qualitäten liefert. Ist das für die Pflege nicht ein Wunschtraum? Der Wettbewerb, von dem Herrn Spahn spricht, findet allenfalls bei den Preisen der unterschiedliche Pflegeanbietern statt. Da aber 50 bis 60 % der Pflegekosten Personalkosten sind, ist die einfache Logik, dass bei niedrigen Preisen entweder weniger Personal vorhanden ist, oder das Personal schlechter bezahlt wird. Da eine Entscheidung für ein Pflegeheim immer auch mit den eigenen Finanzen verbunden ist, spielt der Preis eine wichtige Rolle. Wenn also der Wettbewerb in erste Linie über den Preis ausgetragen wird, ist der Pflegebedürftige immer der Leittragende, denn wenn er erst einmal in einer schlecht geführten Einrichtung ist, fehlt in aller Regel die Kraft das zu ändern. Es ist also kein Wettbewerb um die beste Leistung zum gleichen Preis geworden, sondern es ist der Wettbewerb um die niedrigsten Preise mit einer Werbemaschinerie der Privaten, die lediglich suggeriert, dass deren Leistung gut sei. Es ist zu vermuten, dass das politische Absicht war, um die Kosten der Stationäre Pflege zu drücken. Das gesamte, über Jahre hinweg zusammengestückelte System Pflege, hat eine total falsche Richtung eingeschlagen und muss erneuert werden, Mindeststandards und Kontrollen sind o.k., aber dann muss es einen Wettbewerb der Qualitäten und nicht der Preise geben und die Verantwortung dafür, dass es ein gerechter Vergleich werden kann, liegt in der Hand des Staates und seiner Vertreter, Herr Spahn schreiben richtig: „es hat 2017 kein Wählermandat für eine Ausweitung des Marktcharakters der Pflege gegeben“ ganz im Gegenteil, der Pflegemarkt hat den pflegebedürftigen Menschen nicht geholfen, sondern nur den Investoren. Renditen zu begrenzen oder festzulegen, wird nicht helfen und es ist weder Sozialismus oder hat irgend etwas mit Enteignung zu tun, wenn der Staat seine Schutzpflicht für den Bürger wahrnimmt, sondern er bewahrt sie vor menschlicher und finanzieller Ausbeutung, denn Pflegebedürftige brauchen keinen Wettbewerb der Anbieter, sie müssen sich in einer schwierigen persönlichen Krisensituation für ein Hilfsangebot entscheiden und das muss eine fachkompetente und humane Dienstleistung sein, die klare, für alle Anbieter einheitliche, nachvollziehbare und wirklich vergleichbare Rahmenbedingungen hat, die dann auch von unabhängigen, neutralen Institutionen kontrollierbar sind, dann kann ein wirklicher Wettbewerb um die beste Qualität entstehen und alle Renditejäger bleiben auf der Strecke.

Zum Schluss ein kleines Beispiel zum Thema Qualität in der Pflege: In einer Einrichtung lebte eine demente Bewohnerin, die nicht in ihrem Bett schlief, sondern in der Ecke saß oder auf dem Fußboden lag, wenn die Nachtwache  kam. Schlafmittel wollten die Mitarbeiter nicht verabreichen und überlegten sich dann, das Bett, in das sie sich nur mit viel Widerstand abends legte und wenn die Mitarbeiterin gegangen war auch sofort wieder ausstieg, aus dem Zimmer zu nehmen. Stattdessen legten sie jeden Abend den Raum mit Matratzen aus. Die Bewohnerin schlief schon in der ersten Nacht sehr gut und bis morgens durch und als die Nachtwache schaute, musste sie sie nur noch zudecken. Das ist Qualität, die in keinem Expertenstandard steht.

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Wissenschaft und Praxis

In einem Memorandum (Stellungnahme, Denkschrift) mit dem Titel, „Arbeit und Technik 4.0 in der professionellen Pflege“ schreiben die Verfasser: „Ausgangspunkt dieser Positionierung ist ein Verständnis von Pflege als Interaktionsarbeit an und mit Menschen, die einer besonderen Gestaltung und Wertschätzung bedarf. Die Unterzeichnenden sind sich einig, dass Pflegekräfte stärker als bisher von Technik profitieren sollten. Hierfür sind sie in die Gestaltung von Technik einzubeziehen, die sie und ihre konkrete praktische Arbeit betrifft“.

Es ist gut und richtig solche Forderungen aufzustellen, wenn man das Memorandum weiterliest und das ist es wert, wird unter Punkt 3. „Zum Verständnis der professionellen Dienstleistung Pflege“definiert, dass das Handeln in der Pflegepraxis ein Zusammenspiel aus Forschungsergebnissen und der konkreten Situation der Person, die der Pflege bedarf, sein muss.

Pflege ist primär geprägt durch situatives Handeln, die Frage ist aber, wird die Situation immer nur von den Personen bestimmt, die der Pflege bedürfen, oder wird der Pflegealltag vielmehr geprägt durch den finanziellen und den Zeit-Druck, ist nicht eher ausschlaggebend, ob die Kollegen meckern, wenn man zu lange bei einem Bewohner war, kein Inkontinenzmaterial da ist, weil gespart wird, oder die Brote noch schnell fertig gemacht werden müssen, weil die Hauswirtschaftskraft schon seit drei Wochen ausgefallen ist.

Es geht nicht darum Wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse klein zu reden und es ist längst überfällig, die Pflege flächendeckend mit IT Systemen (Technik) auszustatten, die entlasten und unterstützen, aber es erscheint mir sehr weit weg von der Realität, sich vorzustellen, dass der Prozess einer Einführung technischer Mittel für die Pflege einen Vorlaufprozess verkraften kann, Zitat: „Für eine gute Gestaltung von Arbeit 4.0 in der Pflege bedarf es einer konsequenten, interdisziplinären und zielgerichteten Entwicklung, Einführung und Folgenabschätzung sozio-technischer Innovationen gemeinsam mit der professionellen Pflege.“ So wünschenswert wie das wäre.

Sind solche Beiträge hilfreich, oder verursachen sie womöglich auch Aggressionen, wenn Praktiker sie lesen? Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, der Artikel ist klug geschrieben und sauber recherchiert und beschreibt sehr klar und deutlich, worum es gehen muss im Zusammenspiel zwischen zu Pflegenden und den Pflegenden und das es eine Unternehmerische Verantwortung gibt, sie in Entwicklungsprozesse, in diesem Fall technischer Entwicklungen, unbedingt einzubeziehen. Die reine Lehre ist das Eine, aber wenn man die Früchte zu hoch hängt und keiner mehr ran kommt, ist die Frustration größer als die Hilfe. Wissenschaft und Forschung ist immer in der Gefahr, sich zu weit von der Praxis zu entfernen und da Politik seine Entscheidungen immer eher auf wissenschaftliche Gutachten, als auf praktische Erkenntnisse stützt, braucht Wissenschaft wieder mehr Praxisbezug, der Wege aufzeigt und nicht nur von Idealen bestimmt wird. Pflege braucht dringend neue gangbare Wege, die auch aus wissenschaftlich begründeten Erkenntnissen der aktuellen Situation abgeleitet werden.

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