Herr Fussek in FOCUS online: „Die Situation in der Pflegebranche ist fast schon aussichtslos“. Die Schuld an der Situation trage seiner Meinung nach allerdings nicht wie gern und schnell behauptet die Politik. Denn Politiker seien nicht für die Bezahlung von Pflegekräften verantwortlich – das sei eine reine Tarifsache. Und die Arbeitsbedingungen seien Aufgabe der Pflegeselbstverwaltung. „Versagt hat nicht die Politik. Versagt hat die Pflegeselbstverwaltung. Und wir alle.“, erklärt Fussek im Gespräch mit FOCUS Online. Und zwar, indem wir „kollektiv verdrängen“. Doch das könnten wir uns jetzt nicht mehr leisten: „Es ist nicht mehr 5 vor 12. Es ist längst 5 nach 12.“
Ich muss Herrn Fussek massiv widersprechen, es geht auch nicht um Schuld, sondern es geht um Ursache und Wirkung. Das Pflegeversicherungsgesetz von 1995 haben Politiker gemacht. Dieses Gesetz ist eine Teilkaskoversicherung, in der der Staat seinen Kostenanteil begrenz und damit im Griff behalten kann, alle Kostensteigerungen auf die Pflegebedürftigen abwälzt, Kostenträger die Preise der Leistungserbringer bestimmen und der Staat über diese Kostenträger die Ergebnisse der Leistungen kontrolliert (MDK), die er nicht einmal ganz bezahlt. Gleichzeitig ist es ein Gesetz, in dem gute Leistungen bestraft (geringere Pflegestufe, weniger Geld) und nicht honoriert werden.
- Mit dem Gesetzt wurde ein Pflegemarkt begründet, der die privaten, renditeorientierten Träger erst richtig auf dem Markt gerufen hat. Dieser Markt war politisch gewollte, um den Gemeinnützigen Trägern Konkurrenz zu machen, das Ergebnis sehen wir (Korian, Alloheim, etc.).
- Mit der Föderalismusreform 2006 wurde ein einheitliches Heimgesetzt abgeschafft und damit 16 verschiedene Ländergesetze, mit 16 unterschiedlichen Personalschlüsseln provoziert. Konsequenz, eine fast undurchschaubare und sehr unterschiedliche Gesetzesvielfalt.
- Die Pflegesatzverhandlungen werden nach § 85 SGB XI mit den Kostenträgern ( Pflegekassen, Trägern der Sozialhilfe) geführt, d.h. verhandelt wird mit Geldgebern, die ein unausgesprochenes Interesse daran haben, die Preise niedrig zu halten. Konsequenz, die Erträge laufen immer den Kosten hinterher, was viele Träger, die angstgesteuert agieren, zum sparen zwingt.
- Die Umstellung der Pflegstufen auf die Pflegegrade war eine Schauveranstaltung, aus Pflegestufe 0, 1, 2, 3 und Härtegrad, wurden fünf Pflegegrade 1 bis 5. Es ging um die Einbeziehung Dementer Pflegebedürftiger (neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff), das ist gut, hat aber die Situation der Pflegeanbieter nur verschlechtert.
Die Selbstverwaltung der Träger funktioniert nicht, das stimmt, das war aber auch ein politischer Trick, denn die Politik kann sich nach Bedarf dahinter zurückziehen und sich aus der Verantwortung nehmen.
Ich nenne mich auch einen Pflegeexperten, denn ich habe über 23 Jahre Altenheime geleitet, Pflegesätze verhandelt, nach Tarif bezahlt, Ausbildung gefördert, Personalrekrutin betrieben, über Fachverbände politisch agiert und trotzdem war es in den meisten Fällen in unseren Einrichtungen personell zu knapp, um wirklich Zeit für die Menschen zu haben.
Ja, es ist 5 nach 12, aber Politik muss die Weichen stellen, damit Träger verantwortlich, zum Wohl der Pflegebedürftigen handeln können. Wer glaubt, das geht über die Solidarität der Träger, der hat nicht verstanden, dass es politisch gewollt war, die Pflege so kostengünstig wie nur möglich zu bekommen, und die Träger rennen jetzt dem Geld hinterher. Politik muss den Karren rumreißen, Gesetze ändern und tief in die Tasche greifen und Träger müssen wieder verstehen, dass sie für die Menschen „angetreten“ sind und dass das Geld nur das Mittel zum Zweck ist.