„Die Selbstverwaltung hat versagt“, schreibt Frau Heintze in ihrem Artikel „Meilenweit entfernt von dänischen Verhältnissen“ am 28.5. in der ZEIT. Es ist der Versuch, den Ursachen des Pflegenotstands auf den Grund zu gehen und die deutsche Situation mit guten Alternativen in anderen Ländern zu vergleichen. Warum steht die Pflege heute da wo sie ist? Ist es die Selbstverwaltung der Pflegebetreiber, die eine positive Entwicklung verhinderte, hat man den Bock zum Gärtner gemacht, können andere Länder es besser, vergleicht man vielleicht Äpfel mit Birnen? Die Entwicklung der Pflege hat sehr viele Aspekte und der reine Zahlenvergleich kann zwar das Verhältnis von Betten zu Pflegekräften in den Krankenhäusern in Relation setzen, beschreibt die Ursachen des Pflegenotstands in der Altenhilfe aber nur zum Teil, denn bis auf die Vermarktung des Gesundheitswesens durch die Politik, hat die Altenhilfe eine andere Entwicklung genommen als der Krankenhausbereich.
Teildienste, Ursache und Wirkung
Mit dem Pflegeversicherungsgesetzt 1995 (SGB XI) und der Föderalismusreform 2006 hat die Politik Weichen gestellt, die die Altenhilfe schrittweise wirtschaftlich ausgehöhlt und so in eine Situation geführt hat, in der der zunehmende Druck auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen wird. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Lösungsansätze unterschiedlich sein, denn eine bessere Bezahlung und mehr Fachkräfte sind nur ein Teil des richtigen Weges. Mit der Pflegeversicherung wurde das Selbstkostendeckungsprinzip für die Altenpflege abgeschafft, gleichzeitig war sie aber auch nur eine Teilkaskoversicherung deren festgelegte Leistungen je nach Pflegestufe / Pflegegrad nur einen sehr begrenzten Anteil an den Heimkosten finanzierten. Damit wurden zwar die Ausgaben im SGB XI gedeckelt, aber diese Sparpolitik der öffentlichen Kassen hat zu dem heutigen Pflegenotstand geführt. War es bis zum Pflegeversicherungsgesetz im Rahmen des Selbstkostendeckungsprinzips noch selbstverständlich, das die Mitarbeiter überwiegend als Vollzeitkräfte beschäftigt waren, haben die knappen Stellenschlüssel dazu geführt, dass die Einrichtungen zur Streckung des Pflegepersonals Tagesdienste teilten oder gleich vermehrt Teilzeitkräfte einstellten, um die Spitzenzeiten im Tagesablauf besser abzudecken und in den „ruhigeren“ Zeiten, wie z.B. in der Mittags- und Nachmittagszeit, Stellen einzusparen. Gab es also vorher jeweils 8 Stunden Früh-, Spät- und Nachtdienste, haben die Leitungen mit dieser Umschichtung begonnen die Spitzenzeiten der Pflege mit Teilzeitkräften für jeweils 3-4 Stunden „auszupolstern“. So waren in den Spitzenzeiten z.B. 4-5 Mitarbeiter bei 30 Bewohnern und in den „ruhigeren“ Zeiten oft nur zwei oder gar nur einer, damit war die Betreuungsarbeit massiv eingeschränkt, oder ganz unmöglich und man erlebte immer unzufriedenere Mitarbeiter, die mit einer Pflege im Akkord belastet wurden. Die Ausweichreaktionen, wie Frau Heintze die Flucht in die Teilzeit nennt, waren also zugleich Ursache und Wirkung.
Insolvenz oder der Kampf um Qualität
Konnte man letztmalig 1994/95 noch zusätzliches Personal für die Betreuung dementer Bewohner verhandeln, war mit dem SGB XI und den sehr knappen Stellenschlüsseln jede Möglichkeit einer qualitativen Differenzierung in der Pflege fast unmöglich. Pflegesatzverhandlungen wurden ein Kampf um Cent und um die aufwendigen und zeitraubenden Verhandlungen zu umgehen, wurde vielfach nur die für alle Träger festgelegte pauschale Anhebung umgesetzt, womit die bereits entstandenen tatsächlichen Kostensteigerungen nicht abgedeckt werden konnten und die Schere zwischen Kosten und Erträgen immer größer wurde. Einrichtungen und ganze Träger führte das in den Ruin und die Betreiber verkauften ihre Unternehmen, nicht selten an Fondgesellschaften. Die Altenheime und Träger, die diese Entwicklung durchstanden, sind entweder ausgehöhlt und „verbrannt“ und machen ihre Arbeit mehr schlecht als recht, oder sie haben den Kampf mit den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern aufgenommen und durch konsequente Verhandlungen bis hin zu juristischen Auseinandersetzungen, kostendeckende Pflegsätze durchgesetzt und mit einer engagierten Mitarbeiterschaft, trotz immer noch knapper Ressourcen, bis heute gute Qualität erbracht. An einem Pflegesatz Vergleich wird die Diskrepanz deutlich, bei der Gegenüberstellung der zwei Einrichtungen ist der Satz für den Pflegegrad 3 ausgewiesen und allein der Ertrag für die reine Pflege ist für einen Pflegebedürftigen im Monat um 1183 Euro höher, womit bei 30 Bewohnern zusätzlich 10 Mitarbeiter bezahlt werden können. (Die Beträge für die einzelnen Sachgruppen sind kalendertägliche Werte)
Pflegesatz (Pflegepersonal) | 85,06 € | 47,52 € |
Unterkunft (Reinigung, Wäsche, etc.) | 16,13 € | 12,10 € |
Verpflegung (Essen+Zubereitung) | 13,03 € | 4,52 € |
Invest. Kosten (Gebäudekosten) | 15,80 € | 4,00 € |
Ausbildungsvergütung | 0,00 € | 3,04 € |
monatl. (bei 30,42 Berechnungstagen) | 3.775,73 € | 2.165,30 € |
Gerade aber diese Tatsache hat dazu geführt, dass viele Einrichtungen den Konkurrenzkampf über die Preise fürchteten und damit ihre Qualität immer schlechter wurde, die Mitarbeiter ausgelaugt sind und vielfach nicht mal mehr eine Pflege, die man als „satt und sauber“ bezeichnen kann, erbracht wird. Das Ergebnis ist bekannt, es ist der Pflegenotstand. Viele der Leitungen dieser Einrichtungen haben diese Entwicklung auch dadurch noch gefördert, indem sie den Druck ungebremst an die Mitarbeiter weitergegeben haben.
Meilensteine für eine positive Entwicklung
Deshalb sind 13000 zusätzliche Stellen ein Witz (pro Einrichtung eine), und Augenwischerei, denn die Altenpflege muss grundlegend reformiert werden und ein paar zusätzliche Stellen gehen meilenweit an der Realität vorbei. Der Anfang einer grundlegenden Reform muss neue, für alle verbindliche Stellenschlüssel festlegen, am besten ohne eine Differenzierung nach Pflegeraden. Der nächste Schritt ist ein einheitlicher, flächendeckender Tarifvertrag, der eine gleiche Bezahlung für alle Pflegekräfte garantiert und beide Maßnahmen müssen selbstverständlich über die Pflegesätze finanziert werden. Die Teilkaskoversicherung im SGB XI muss aufgehoben werden, denn die Kostensteigerungen darf man nicht auf die Bewohner bzw. ihre Angehörigen abwälzen. Als übergreifenden Qualitätsbaustein kann nur die Ergebnisqualität die Grundlage für zukünftige Prüfungen sein, sie ist ein wichtiger inhaltlicher Punkt, deren Einhaltung durch eine gut ausgestattete Heimaufsichten vor Ort zu begleiten und zu kontrollieren ist. Die MDK Prüfungen haben in den Jahren ihrer Existenz viele Kosten verursacht, die Mitarbeiter administrativ gebunden und nichts bewirkt, sie gehören abgeschafft. Das sind die wichtigsten Meilensteine einer wirklichen Pflegereform, ergänzt um den Hinweis von Frau Heintze, dass es eine Frage sein wird, „ob die Regierung willens ist, dem Renditedenken in der Kranken- wie Altenpflege die Grundlage zu entziehen“. Die Fakten liegen alle auf dem Tisch und Herr Spahn betont immer wieder, dass er verstanden hat, jetzt müsste er einen Prozess einleiten, der diese Meilensteine umsetzt; es ist aber zu befürchten, dass das beschriebene Paket viel zu groß ist und die dafür benötigten Gelder in andere Bereiche fließen. Die Schwächsten in dieser Gesellschaft bleiben wieder auf der Strecke. „Sehr alt und pflegebedürftig zu werden, darf in Deutschland keine Horrorvorstellung werden“, sagt Diakonie Präsident Lilie, aber das wird unter diesen Umständen kaum zu verhindern sein.