Kritik ja, Jammern nein

Ein guter Bekannter schrieb mir kürzlich: „Aus meiner Sicht sind die Tendenzen zur Selbstzerfleischung und die Kultur des Jammerns und Klagens ein Hauptgrund für das schlechte Image der Pflege. Selbstverständlich will ich nicht in Abrede stellen, dass Anbieter immer wieder schwere Versäumnisse im Umgang mit Mitarbeitenden und auch Azubis begehen, aber ich finde, wir sollten eher mit guten Beispielen auf die „attraktiven“ Dienste und Einrichtungen hinweisen statt den x-ten Blog zum Jammern und Klagen zu eröffnen. Davon haben wir gerade im Internet schon viel zu viel“. Diese Meinung hat mich überrascht, denn es steht außer Frage, dass gute Arbeit und ideenreiche und engagierte Projekte benannt und als gute Praxis Vorbild sind. Geantwortet habe ich: „…ich sehe Beides, die guten Beispiele mit einem vielfältigen Potential und eine sehr gefährliche Entwicklung. In über dreiundzwanzig Jahren meiner Verantwortung in der Altenhilfe habe ich sehr deutlich wahrgenommen, dass wir fachlich eine Menge erreicht haben, die Bedingungen für eine qualifizierte Arbeit sich aber immer weiter verschlechterten. Die Finanzen wurden immer enger, die gesetzliche Vorgaben und Kontrollen des Gesetzgebers orientierten sich deutlich weniger an einer lebendigen Pflege, die Einstufungspraxis für die Pflegebedürftigen war vielfach formal richtig, hatte aber mit dem tatsächlichen Pflege- und Betreuungsaufwand immer weniger zu tun. Der medizinische, pflegerische und Betreuungsaufwand ist auf Grund der zunehmenden Multimorbidität der Bewohner stark gestiegen und die Stellenschlüssel haben sich dem nicht angepasst. Es gab unter meiner Geschäftsführung vereinzelt Überlastungsanzeigen, die, wenn ich sie mir genauer ansah, auch zum Teil berechtigt waren und deutlich machten, dass wir trotz einer engagierten Mitarbeiterschaft, den Menschen nicht immer gerecht werden konnten. Außerhalb allen Jammerns und Wehklagens, das sicher nicht mein Thema ist, sehe ich aber vor allem, dass Politik dafür verantwortlich ist, wenn wir heute Private Equity Fonds haben, die aus Pflege ein Geschäft machen, 16 verschiedene „Heimgesetze“, die einen einheitlichen Ansatz für Altenpflege konterkarieren und Pflegekassen und Sozialhilfeträger, die aus ihrer Machtposition heraus um jeden Cent feilschen“.

Wir brauchen unverzichtbar in der Pflege eine sachliche, konstruktive und nicht verletzende Kritik, mit einer Diskussion um die besten Lösungen. Die aktuelle Situation ist der beste Beweis, Frau Griffey, Herr Heil und Herr Spahn geben einen Schwur ab und das tun sie, weil der öffentliche Druck zunimmt und sie sehen, dass viele Menschen, Patienten, Bewohner und Mitarbeiter, massiv leiden. Sie werden deutlich und nachhaltig darauf aufmerksam gemacht, dass der Pflegenotstand nach einem jahrelangen Auszehrungsprozess am Limit ist und beginnt zu einer Katastrophe zu werden. Wir Menschen sind mit Emotionen ausgestattet und Jammern und Wehklagen sind ein berechtigtes Ventil, aber sie sind nicht der Maßstab für die fachlich, sachliche Auseinandersetzungen um das Thema. Was sich ändern muss, kann nur durch die Politik auf den Weg gebracht werden. Es ist die Verantwortung der Fachleute und der Betroffenen, die Finger in die Wunde zu legen, Druck aufzubauen, wenn Politiker die Probleme nicht oder nur halbherzig anpacken und sie in die Verantwortung zu nehmen.

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