Pflegegrade als „Grad-Wanderung“!

Seit über einem Jahr gibt es nun die fünf neuen Pflegegrade in der Einstufungspraxis des Pflegeneuausrichtungsgesetzes II. Ein Grund, einmal genauer hinzuschauen ob sich der Aufwand gelohnt hat. Ist das neue Gesetz mit einer stärkeren Berücksichtigung der Menschen mit Demenz gelungen, haben sich Pflegegrade statt Pflegestufen bewährt? Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff war überfällig und die damit verbundene deutlichere Einbeziehung des Personenkreises der dementiell veränderten Menschen unverzichtbar. Die mit der Änderung verbundenen Mehrausgaben bringen vor allem Verbesserungen in der ambulanten Versorgung, d.h. bessere Leistungen im Einzelnen und mehr Versicherte haben einen Anspruch auf Leistungen aus dem PSG II.

Fakt ist aber auch, das die Umstellungen die ab 1.1.2017 mit dem PSG II verbunden sind, einen erheblichen bürokratischen Aufwand nach sich gezogen haben, ein hohes Maß an Verunsicherungen bei Versicherten, ihren Angehörigen, Leistungsanbietern und Trägern zur Folge hatten und die Stationäre Pflege heute unter einem noch größeren finanziellen Druck steht.

Unser Augenmerk wollen wir aber auf die neue Einstufungspraxis richten. War in der vorherigen Begutachtung durch den MDK der Maßstab der notwendige Zeitaufwand, der für den einzelnen Antragsteller zu ermitteln war, „Minutenpflege“, so gibt es heute ein aufwendiges „Neues Begutachtungsassessment“ (NBA), in dem über 6 Module in einer sehr aufwendigen Punkte Berechnung ein Gesamtpunktwert ermittelt wird, der wiederum dann den Pflegegrad bestimmt.

In vielen Publikationen maßgebender Stellen wird immer davon geschrieben, dass „nicht mehr der Hilfebedarf in Minuten, sondern der Grad der Selbstständigkeit eines Menschen“ im Vordergrund steht und es wird betont, dass seine Ressourcen und Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen. („Pflegebedürftigkeit und Pflegebegutachtung“, mds-ev.de) Weiter schreibt der MDS: „Das neue Begutachtungsin­strument stellt damit körperliche, psychische und kog­nitive Beeinträchtigungen angemessen und vergleichbar dar. Auf dieser Grundlage soll jeder pflegebedürftige Mensch Zugang zu passgenauen Leistungen erhalten“.

Wenn ich das genau verstehe, geht es also doch darum festzustellen, welche Leistungen der Einzelne auf der Grundlage eines festgestellten Hilfebedarfs (Grundlage Beeinträchtigungen) braucht. Macht auf mich den Eindruck, dass wir von Dortmund nach Bielefeld über Paris fahren, weil Paris sich doch so schön anhört. In Wirklichkeit geht es wieder mal nur um Geld und die Tatsache, wie man geschickt die Kosten im Griff behält und das möglichst schwer durchschaubar, Stichwort: Entbürokratisierung.

Die Punktevergabe für die einzelnen Pflegerade ist klar:

  • Pflegegrad 1: Geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit (12,5 bis unter 27 Punkte)
  • Pflegegrad 2: Erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit (27 bis unter 47,5 Punkte)
  • Pflegegrad 3: Schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit (47,5 bis unter 70 Punkte)
  • Pflegegrad 4: Schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit (70 bis unter 90 Punkte)
  • Pflegegrad 5: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (90 bis 100 Punkte).

Ein schmaler Grad von Pflegegrad zu Pflegegrad! Wenn ein Pflegebedürftiger nun mit 47 Punkten in den Pflegegrad 2 eingestuft wird, könnte er mit einem Punkt mehr jeden Monat entweder 609 Euro mehr Sachleistungen oder 220 Euro mehr Geldleistungen bekommen. D.h. die Pflegebedürftigen, bzw. ihre Angehörigen müssen sehr wachsam sein, sich das Gutachten genau ansehen und alle Möglichkeiten des Widerspruches, möglicherweise auch mit einer juristischen Unterstützung prüfen.

Es hat sich zu der vorherigen Praxis der Pflegestufen nichts geändert und es gilt immer noch der gleiche Grundsatz: Pflege braucht Zeit, keine Stoppuhr!

Illustration Jürgen Pankarz

Es wäre sicher einfacher gewesen für den Personenkreis mit „demenzbedingten Fähigkeitsstörungen“ (Definition §45a Abs.1 SGB XI) einen Zuschlag einzuführen, und die Leistungen anzuheben, aber das hätte mit Sicherheit nicht eine so große öffentliche Wirkung gehabt.

 

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